Ein viraler Winzling hat die Digitalisierungsdefizite in Deutschland schonungslos offengelegt. Krisen zeigen eben immer auch Handlungsbedarf. Sie machen Kurswechsel nötig und erzwingen Wandel. Krisen öffnen aber auch Türen, sie schaffen Durchbrüche und sorgen für Fortschritt. So wie der Katalysator in einem chemischen Versuchslabor setzen Krisen notwendige Prozesse in Gang oder beschleunigen diese.
Sie forcieren Flexibilität und bringen Dynamik in vormals erstarrte Strukturen. Sie sorgen für Aufbruch, für Umbruch und Neuausrichtung. In einer Krise rettet uns nicht der nostalgische Blick zurück, sondern nur ein kühner Sprung nach vorn. So bietet sich den Unternehmen jetzt eine historische Chance, notwendige Transformationen endlich in Angriff zu nehmen. Wenn sie sie doch nur ergreifen würden ….
Die etablierten Planungsexzesse verhindern Transformation
Ganze Industrien haben ein Interesse daran, den Fortschritt zu hemmen, um den Wert des Kapitals zu schützen, das in ihren veralteten Technologien investiert ist. Sie optimieren lieber ihre Vergangenheit, statt Neues zu wagen. Sie hüten ausgebrannte Feuerstellen, statt mit erhobener Fackel mutig voranzugehen.
Deren Manager sind keine Gestalter, sondern Verwalter, weil das System, in dem sie Verantwortung tragen, Wagemut nicht belohnt. Viele Chancen lassen sie ganz einfach deshalb verstreichen, weil sie das Risiko des Scheiterns in sich tragen. Denn Scheitern setzt die Karriere aufs Spiel.
Hingegen wird der, der seine Arbeit „at target, on budget, in time“ erledigt, die vorgegebenen Zielzahlen schafft und Verfahrenstreue beweist, mit Boni und anderen Goodies belohnt. So konzentriert man sich auf das Erreichen der Zielvorgaben – und nicht auf das, was im Sinne von Zukunftsfähigkeit das Beste für die Firma wäre.
Wenn Punktlandungen auf Vorgaben gefordert sind, dann werden eben Punktlandungen auf Vorgaben geliefert. Langfristige Chancen werden für die Quartalszahlen geopfert. Man folgt nicht den Notwendigkeiten der Wirklichkeit, sondern dem Plan. Größere Risiken nicht einzugehen, ist in solchen Organisationen die bessere Wahl.
„Quer denken? Muster brechen? Echt innovieren? Kann ich mir nicht erlauben, habe zwei Kinder, die bald auf die Uni gehen, und gerade ein Häuschen gebaut. Schön dumm wäre ich, mich groß aus dem Fenster zu lehnen“, raunt mir ein Manager zu. Ergo: Wer im Unternehmen Karriere machen will, muss sich konform verhalten.
Die Jahresplanung: Feind von Innovation und Fortschritt
Wer sein ganzes Leben um seine Karriere herumgebaut hat, hat keinen Bock auf Experimente. Eine größere Fehlentscheidung, Budget in den Sand gesetzt, vorgegebene Ziele nicht erreicht, und man ist Geschichte. Folgt man hingegen den Regeln und einem vorgegebenen Plan, hat man nichts zu befürchten, denn man kann sich darauf berufen.
Eine aufgeblähte Zielerreichungsbürokratie, zeitraubende Statusberichte und penible Kontrollen sollen im Jahresverlauf dafür sorgen, dass das Plankonstrukt funktioniert. Alle sind nur noch von einem besessen: ihre Vorgaben zu schaffen, selbst mithilfe von Lug und Trug. Denn die Boni gibt’s eben nur auf die Planzielerreichung.
Das gesamte Prozedere fixiert Unternehmen in einer untauglichen Rückschau, behindert die eigentliche Arbeit erheblich, verursacht Verschwendung – und trägt rein gar nichts zur Wertschöpfung bei. Zudem hält es die Unternehmen davon ab, sich rechtzeitig zu erneuern. Die größten Chancen liegen ja meist jenseits des Plans. Doch für die ist – leider – nichts budgetiert.
„Warum macht ihr das so?“, frage ich. „Das haben wir jedes Jahr so gemacht“, heißt es zur Antwort. Oder: „Das machen doch alle so.“ Oder: „Das haben wir an der Uni so gelernt.“ „Habt ihr schon mal gerechnet, was euch das kostet?“ Nein, haben sie nicht. Herrje! Viele Management-Tools sind wirklich zum reinen Selbstzweck verkommen.
Wer wirklich Fortschritt will, muss sich von Veraltetem lösen
Die hehre Aufgabe eines Managers sollte es sein, sein Unternehmen couragiert in die Zukunft zu führen und dessen Fortbestand dort zu sichern. Wer jedoch incentivierte Anerkennung dafür erhält, dass er vorgezeichneten Wegen akribisch folgt, wird sich vorsichtshalber wohl eher nicht an bahnbrechend Neues wagen.
Märkte, die noch nicht existieren, können nicht budgetiert, höchstens hoffnungsvoll voreingeschätzt werden. Ein Alptraum für den Controller. Der will keine Abenteuer, sondern exakte Zahlen und einen Plan, sozusagen eine Vollkaskoversicherung für neue Ideen. Das zwingt alle im Unternehmen zu Kleinmut und Ausbremseritis.
Wenn ein Unternehmen seine Pläne und Budgets auf ein Jahr im Voraus fixiert, wird es nicht in der Lage sein, spontan auf Marktveränderungen zu reagieren. In einem sich immer schneller verändernden Umfeld funktionieren lange Planungszyklen nicht mehr. Zunehmend unvorhersehbare Ereignisse machen feste Jahresziele fortan obsolet.
Solange man aber für Nonkonformität einen Preis zahlen muss, wird kaum jemand es wagen, Althergebrachtes in Frage zu stellen. Man duckt sich weg, stellt das Denken ein, sein Gewissen ab, zuckt teilnahmslos mit den Schultern – und tut desinteressiert, was verlangt wird. Doch mit „Dienst nach Vorschrift“ kann man keine Kunden betören. Und die jungen Talente, die was bewegen wollen, ziehen schleunigst von dannen.
Klassische Organisationen reagieren auf Wandel allergisch
Klassische Organisationen funktionieren wie ein Immunsystem. Mit all ihren Rollen, Richtlinien, Normen, Strukturen und Methoden versuchen sie, Stabilität zu erzeugen und eine feste Ordnung zu bewahren. Und je mehr starre Prozesse es gibt, desto geringer ist der Veränderungswille.
Sobald fremdes Neues an das prozessadipöse System andocken will, macht sich eine Horde von Killerzellen auf den Weg zur Attacke. Okay, mit Details kommt man durch. Wenn aber jemand am Grundverständnis rüttelt, Machtbefugnisse hinterfragt und Entscheidungsverfahren ad absurdum führt, reagieren die Betroffenen mit heftigem Widerstand und schwerem Geschütz.
Schaut man historisch zurück, ist das beileibe nichts Neues. Früher endeten die, die ein Herrschaftssystem oder die Weltordnung infrage gestellt und in großem Stil quer und neu gedacht haben, in der Verbannung, am Galgen oder auf dem Schafott. Es sei denn, man schwor seinem „ketzerischen“ Vorgehen ab und unterwarf sich der herrschenden Machthoheit.
Dieser Tradition folgt man in tradierten Unternehmen noch heute, wenn auch, klar, sehr viel subtiler. Wer die eingefahrenen Abläufe stört, Vorgaben missachtet und sich dem firmeninternen Verhaltensprotokoll widersetzt, wird bestraft: mit öffentlichen Rügen, mit Diffamierung und Missachtung, mit dem Verweigern von Vergünstigungen und vertaner Karriere. Offen opponieren? Ist manchmal beruflicher Selbstmord.
So wird man zum Ersten an den Honigtöpfen der Zukunft
Natürlich weiß jeder, dass sich ein Unternehmen verjüngen muss, damit es floriert. Wer also Mitdenker und neues Gedankengut favorisiert, wird seine Mitarbeiter nicht für Konformität, sondern fürs Weiterdenken belohnen. Heute braucht es vor allem kreative Köpfe mit frischen, frechen, unkonventionellen Ideen, damit das notwendige Neue „werden kann“.
In einer Hochgeschwindigkeitszukunft ist die Fähigkeit zum steten Wandel das größte Plus. Sie ermöglicht, sehr zügig neue Betätigungsfelder zu erschließen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dies gelingt nicht durch Systemerhalt, sondern über eine große Zahl umwälzender Vorgehensweisen, die sich in Freiräumen entfalten dürfen und können. Denn nur, wer viel würfelt, der würfelt am Ender auch Sechser.
Wo dabei „quer“, also breit und unkonventionell gedacht und gemacht werden darf, tauchen schnell die tollsten Lösungen auf: unverbraucht, adaptiv, experimentell. So können Unternehmen auch in unvorhersehbaren Zeiten gut überleben. Ohne Risikobereitschaft gibt es keine Innovationen. Planungskorsetts und widersinnige Anreizsysteme sind der falsche Weg, weil dann nichts Großes passiert.
Nicht Erhalter des Etablierten, sondern Game Changer, First Mover und Pioniere haben uns zu allen Zeiten den Fortschritt gebracht. Wer sich mit Um-die-Ecke-Denkern und Über-den-Tellerrand-Schauern umgibt, wer den Neumachern im Unternehmen eine tragende Rolle gibt, zählt zu den Ersten an den Honigtöpfen der Zukunft.
Wie man dabei detailliert vorgeht, habe ich in meinen aktuellen Büchern ausgeführt: Die Orbit-Organisation, Fit für die Next Economy und Querdenker verzweifelt gesucht.