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Dieses Experiment zeigt, wie man Menschen für Change gewinnt

Wir befinden uns in einer der riesigen Kölner Messehallen. Hier hat der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar zusammen mit dem Starautor Frank Schätzing, der unter anderem den SciFi-Thriller „Der Schwarm“ geschrieben hat, ein beeindruckendes Experiment durchgeführt. 200 Menschen sind da. In der Hallenmitte befindet sich ein riesiger Kreis. Um den Kreis herum sind im Uhrzeigersinn Tafeln mit den Ziffern eins bis zwölf aufgestellt.

Die Probanden werden gebeten, im Kreis herumzuschlendern, nicht miteinander zu kommunizieren, das gesamte Terrain auszunutzen und immer einen Abstand von gut einer Armlänge zu allen Nachbarn zu halten. 20 der Leute im Kreis erhielten jedoch eine geheime Anweisung, wobei keiner von ihnen wusste, dass auch andere sie bekommen hatten. Nach etwa zwei Minuten des Umherwanderns sollten sie langsam zur Ziffer zwölf gehen und davor stehen bleiben.

Immer mehr Menschen zogen ihnen nach. Nach kaum fünf Minuten knubbelten sich fast alle vor der zwölf, ohne dass jemand sie dorthin gerufen hätte. 20 Individuen, also zehn Prozent der Probanden, hatten es rein durch ihr Verhalten geschafft, die Versammelten an ein Ziel zu bringen, ohne ihnen Anweisungen geben zu müssen.

Sind 10 % der Menschen für eine Sache gewonnen, entsteht Sog

Mit diesem Experiment wurde eine Faustregel bewiesen, die besagt: Sind zehn Prozent der Menschen für eine Sache gewonnen, entsteht Sog. Was es demnach braucht, ist eine Avantgarde von Vorreitern und Schrittmachern, von Experimentierfreudigen mit Tatkraft und Durchhaltevermögen, um Veränderungen zu initiieren.

Ihr Mut macht auch anderen Mut. Sie verbreiten eine ansteckende Zuversicht und machen Lust auf Change. So nehmen sie andere mit auf den Weg in eine sich permanent wandelnde Zukunft. Natürlich, man kann dabei auch scheitern, doch es lohnt sich, mutig zu sein. Mut macht stark. Stärkt andere mit. Steckt andere an. Mut führt uns dorthin, wo Fortschritt ist und am Ende Großes gelingt.

Ganz anders bei klassischen Transformationsprojekten nach dem Wasserfallprinzip: Statt mit Pionieren und Innovatoren voranzumarschieren, um Veränderungen zügig zu initiieren und das Neue testweise auszuprobieren, verplempert man dort seine Zeit damit, sogleich die gesamte Belegschaft zum Change zu verdonnern, ganz egal, ob es passt oder nicht.

Schlecht, wenn alles über jeden „ausgerollt“ wird

Beim Standardchange passiert vieles nach Schema F. „Vorstandsbeschluss! Wir machen jetzt überall Scrum“, heißt es zum Beispiel. Und dann wird Scrum auch dort zwangsimplementiert, wo Scrum gar nicht hingehört: in Bereiche mit hohen Anteilen an Routineprozessen, unumgänglicher Vorschriftendichte und vertraulicher Arbeit.

Oft geht man auch davon aus, dass es grundsätzlich Widerstand gegen Veränderung gibt. Deshalb plant man einen Konfrontationskurs bereits von Haus aus mit ein. Oder man beginnt zunächst damit, notorische Verweigerer überzeugen zu wollen, um alle „abzuholen“ und „mitzunehmen“. Indem man ihnen zu lange zu viel Aufmerksamkeit schenkt, stärkt man ihre Position und gibt ihnen Zeit, Zwietracht zu säen. Aus ihren Schützengräben heraus bekämpfen sie das Neue und verbreiten ein Klima der Angst.

Ablehnung und Unlust entstehen immer dann, wenn etwas „von oben“ verordnet wird, also mit Druck oder Zwang behaftet ist. Zustimmung hingegen entsteht, wenn wir über eine Veränderung selbst entscheiden. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und gelingenden Wandel. Und mal ehrlich: Oft ist man doch einfach nur froh, wenn auf etwas schlechtes Bestehendes etwas besseres Neuartiges folgt. Ständig ändern wir was, wenn das Danach uns attraktiver erscheint als das Davor.

Die Geschichte der Menschheit ist eine Fortschrittsgeschichte

Klar sieht nicht jeder in allem „Neu“ eine Verheißung. Manche sehen in Innovationen kein mögliches Plus, sondern eine Gefahr. So werden die Risiken, die eine Neuerung bringen könnte, überbewertet und stark überzeichnet. Im Wesentlichen ist Neurochemie, die übermächtige Mitgift unserer Jahrmillionen langen Vergangenheit, die Ursache dafür. Unbekanntes erscheint vielen als diffuse Bedrohung, die in der Tat ängstigen kann, weil sie nicht greifbar ist.

Manche Gehirne sind, wenn es um Umbruch und Wandel geht, richtig gut darin, sich geradezu apokalyptische Szenen auszumalen. Selbst wenn solche Ängste unbegründet sein sollten, für den Betroffenen sind sie real. Je mehr die Führung dann auf Veränderung pocht, desto beunruhigender kommt einem das vor. Hätten aber alle Menschen das Ungewisse des Neulands gescheut, wären wir nicht da, wo wir heute sind, sondern lebten noch immer in Höhlen.

Es sind die mutigen Andersmacher und kühnen Übermorgengestalter, die mit neugierigem Infragestellen und umtriebigen Ideen Konventionen durchbrechen und Trittsteine in neue Lebensräume legen. Sie wagen sich auch dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Dieser unbändige Vorwärtsdrang, das Entdecker-Gen in uns, bringt die Menschheit voran.

Die Evolution favorisiert ehrgeiziges Leben, das sich an die jeweiligen Umstände aktiv anpassen kann. Sie stellt den Pioniergeist vor das Beharren und den üblichen Trott. Neugier, Wissensdurst und Lernbereitschaft sind angeboren – und die wichtigsten Treiber, um uns voranzubringen. Wir sind die Nachfahren derer, die eine bessere Zukunft wollten und deshalb den Fortschritt wagten.

Große Transformationen und Big Wins sind selten

Big Wins sind Change-Aktivitäten, die durch transformative Arbeitsweisen, organisationale Redesigns oder neue Geschäftsmodelle geradewegs in die Zukunft führen. Sie erfordern radikal neue Denk- und Handlungsmuster. Solche Neuerungen haben einen hohen Innovationsgrad, sodass sie bestehende Strukturen komplett verändern. Sie sind immer ein Angriff auf das Etablierte.

Deshalb erleben sie oft die Gegenwehr der Besitzstandswahrer. Um ihre Stellung und die damit verbundenen Privilegien haben sie lange gekämpft. Mit Selbstentmachtung ist also kaum zu rechnen. Denn Macht will weiterleben. Doch auf solche Befindlichkeiten kann ein Unternehmen nicht länger Rücksicht nehmen. Denn je träger es agiert, desto anfälliger ist es für Überholmanöver.

Veraltete Produkte, Services und Technologien, alphahierarchische Machtstrukturen, unzeitgemäße Entscheidungsverfahren, rückständige Arbeitsstile, antiquierte Führungsmethoden, eine überbordende interne Bürokratie, verfehlte Bonifizierungsstrategien, dies und vieles mehr muss auf den Prüfstand und zeitnah bearbeitet werden, um es zu den Honigtöpfen der Zukunft zu schaffen.

Besser mit Quick Wins: Veränderung permanent üben

Nach dem Motto „start small, but start“ sind Quick Wins rasch umsetzbare, praxisnahe Maßnahmen und Tools, die mithilfe der Mitarbeiter:innen überholte Bürokratie abbauen, Prozesse agilisieren, neue Ideen produzieren und Innovationsprozesse beflügeln. Weitgehend selbstorganisiert kommen intelligentere, effizientere, passendere Wege der Aufgabenbewältigung, der Zusammenarbeit und der Zielerreichung zum Einsatz.

So erzeugt man eine unablässige Selbsterneuerung in überschaubaren Schritten – gekoppelt an schnelle Erfolge. Denn je kleiner die zu ändernde Einheit, desto leichter kann sie umgesetzt werden. Sind die Mitarbeitenden daran gewöhnt, sich permanent anzupassen, ist es viel leichter, Wandel voranzubringen. Veränderungskraft wird zur Normalität, weil sie durch ständiges Ausprobieren, Reflektieren, Adaptieren und Optimieren täglich trainiert wird – und Ergebnisse sich zügig zeigen.

Wir Menschen brauchen das gute Gefühl, etwas geschafft zu haben. Von Natur aus sind wir auf schnelle Resultate fixiert. Das macht uns Lust auf mehr. Deshalb müssen Quick Wins einfach sein. Und sie visieren Nahziele an. Viele solcher Initiativen entstehen zunehmend ganz ohne Mandat. Im Operativen wissen die Mitarbeitenden selbst am besten, welche Abläufe umständlich, mühsam oder veraltet sind, also die Zusammenarbeit stören oder beim Kunden Qualen auslösen.

Quick Wins werden auch nie gleich als Muss vorgegeben, sie stellen Anregungen dar. Weil im Vorfeld nicht klar ist, wie die Organisation darauf reagiert, werden sie ganz unkompliziert zunächst für eine festgelegte Dauer getestet – und dann übernommen, gestoppt oder weiterentwickelt. So macht Wandel durch Quick Wins die Anwender frei von hierarchischer Fremdsteuerung – und zugleich das Unternehmen rasch viel besser.

(Dies ist ein Ausschnitt aus meinem neuen Buch „Bahn frei für Übermorgengestalter“. Dort finden Interessierte eine Vielzahl von Quick Wins für gelingenden Change.)

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