Ja, Unternehmen können ohne Regeldickicht, ohne Prozessbesessenheit und ohne Hierarchiegedöns hervorragend funktionieren, sogar zum Marktführer werden. Und ja, mit kompromissloser Kundenzentrierung wird man definitiv sehr erfolgreich. Denn Unternehmen werden heute von den Kundenwünschen gesteuert. Nur, wenn es den Kunden gutgeht, geht es auch dem Unternehmen gut. Genau das beweisen einmal mehr zwei Bücher, die ich hiermit wärmstens empfehle.
„Keine Regeln“ von Reed Hastings und Erin Meyer
Netflix gilt als der erfolgreichste Streaming-Anbieter der Welt. Das Unternehmen hatte 1997 als DVD-Verleiher angefangen. 2007 wurde dort die Idee vorangetrieben, das eigene Geschäftsmodell von innen heraus neu zu erfinden. Netflix stampfte den DVD-Verleih ein und stieg ins Video-on-Demand-Geschäft ein. Hingegen änderte der seinerzeit unangefochtene Marktführer Blockbuster die eigene Strategie nicht – und ging 2010 in die Insolvenz.
Die Selbstdisruption ist allerdings nicht das einzige Erfolgsgeheimnis von Netflix. Reed Hastings, der Mitgründer und CEO des Streamingdienstes mit heute knapp 10.000 Mitarbeitern, beschreibt im Buch auch seinen ganz persönlichen Wandel als Führungskraft: die radikale Abkehr von Micromanagement und Co., nachdem er damit in seinem ersten Unternehmen, einem Softwareanbieter, gescheitert war. Seitdem stellt er Menschen über Prozesse und Innnovation vor Effizienz.
Die Netflix-Kultur wurde darauf ausgerichtet, formuliert er, „mit einer hoher Talentdichte Spitzenleistungen zu erzielen und die Mitarbeiter nicht zu kontrollieren und zu lenken, sondern ihnen einen Kontext zu bieten, an dem sie sich orientieren konnten, um eigenständig zu entscheiden. Diese Kultur hat es Netflix ermöglicht, kontinuierlich zu wachsen und sich im Gleichschritt mit einer Welt und mit den Bedürfnissen unserer Abonnenten zu wandeln.“
Im Buch analysiert er gemeinsam mit Erin Meyer, Professorin an der INSEAD Business School in Paris, die maßgeblichen Schritte, die zum Netflix Erfolg führten:
- die Talentdichte erhöhen und zunehmend maximieren
- Offenheit und permanentes Feedback implementieren
- Regeln und Kontrollmechanismen zunehmend beseitigen
Nichts davon ist wirklich neu. Der Unterschied zu vielen anderen Unternehmen: Diese Prinzipien werden bei Netflix nicht als Lippenbekenntnisse propagiert, sondern konsequent in die Tat umgesetzt – und genau das machte die Firma zur Nummer 1. Mein Fazit zum Buch: knapp 400 Seiten, die jedem Unternehmer und jeder Führungskraft eine Fülle von Aha-Erlebnissen liefern. Mehr zum Buch
„Mach‘s wie Amazon“ von John Rossman
John Rossman war selbst lange Jahre als leitender Angestellter bei Amazon tätig. Er startete das Marketplace-Geschäft und kann von vielen Insights aus der Anfangszeit des Unternehmens berichten. Auf Basis dieser Erfahrungen präsentiert er in seinem Buch auf 366 Seiten eine Sammlung von 50 1/2 Ideen, die zeigen, wie mal zu einem digitalen Vorreiter werden kann.
Die oberste Prämisse ist Customer Obsession. Amazon versteht sich als das kundenorientierteste Unternehmen der Welt und tut alles, um seinen Kunden ein sich ständig verbesserndes Serviceerlebnis zu bieten. In Meetings bleibt dort ein Stuhl frei, der ist „für den Kunden, die wichtigste Person in diesem Raum.“ Zum Vergleich: Wie verschieden Kundenerfahrungen bei Amazon und in Old-School-Unternehmen, in denen Effizienz den Vorrang hat, sein kann, hatte ich in diesem Beitrag aufgezeigt.
„Wir verdienen unser Geld nicht, indem wir etwas verkaufen, wir verdienen Geld, indem wir Kunden helfen, eine Kaufentscheidung zu treffen“, sagt Amazon-Chef Jeff Bezos, und auch: „Unser Erfolg ist eine direkte Folge der Anzahl der Experimente, die wir jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche, jeden Tag machen.“ Deshalb ist bei Amazon immer „Day One“. An allem wird ständig geschraubt, nichts ist je endgültig fertig.
Man experimentiert dort so lange, bis ein jeweiliger Service Weltklasse-Niveau hat. Danach bietet Amazon diese Lösung auch anderen Unternehmen an und macht daraus ein Geschäftsmodell. Als Beispiel kann hier AWS (Amazon Web Services) dienen: Übliche Anbieter lagern in Spitzenzeiten Services aus oder bedienen die Kunden dann nicht wie gewohnt. Amazon hingegen hält auch in solchen Fällen seine Serviceversprechen ein. So wurden die Serverkapazitäten ausgebaut.
Den nicht genutzten Überschuss vermietet Amazon als cloudbasierte On-Demand-Lösung an andere Unternehmen. „AWS entstand nicht aus dem Wunsch, ein Unternehmen mit Cloud-Technologie zu sein, sondern aus dem Bedürfnis, eine skalierbare Infrastruktur zu schaffen, um die Online-Kundenerfahrung großartig zu machen“, schreibt John Rossman.“ 2019 machte Amazon allein mit Cloud Computing 35 Milliarden US-Dollar Umsatz – und 9,2 Milliarden US-Dollar Gewinn.
Besonders spannend sind die letzten Seiten im Buch. Darin geht es um den Ausblick auf die nächsten zehn Jahre bei Amazon. Klar ist, dass Amazon sich in weitere Geschäftsbereiche ausdehnen wird. Vieles davon betrifft die Optimierung von Infrastrukturen, um Auslieferungen noch schneller zu machen und zugleich den hohen Amazon-Ansprüchen zu genügen. Dazu dürfte vor allem eine riesige Lieferflotte mit selbstfahrenden Vehikeln gehören, wobei die nachhaltige Energieerzeugung und -nutzung eine maßgebliche Rolle spielen wird. Bis 2025 möchte Amazon zu 100 Prozent erneuerbare Energien verwenden und CO2-Neutralität erreichen.
Ein weiterer wichtiger Bereich dürfte die On-Demand-Fertigung werden. Denn was ist die beste Art, Warenbestand, Rücksendungen und Transportkosten zu minimieren und gleichzeitig den Megatrend Individualisierung zu bedienen? Man lässt die Kunden ihre Wunschartikel selbst konfigurieren und fertigt diese Artikel dann maßgeschneidert in der Nähe des Kunden.
Auch den Nahrungsmittelbereich und die Landwirtschaft wird Amazon revolutionieren, indem es zum Beispiel Hightech-Farming in Ballungszentren vorantreibt. Zudem wird Amazon den Gesundheitsmarkt mit völlig neuen Services beleben. Ferner wird Amazon Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein – ganz einfach auch deshalb, weil die Kunden dies zunehmend verlangen. Mehr zum Buch