Change-Projekte misslingen? Das liegt sehr oft am „Wie“. Schauen wir uns das übliche „Wie“ eines klassischen Change-Projekts mal gleich näher an: Mit großen Zielen, vorgezeichneten Pfaden und festgezurrten „Meilensteinen“ versehen – gern auch von Beratungshäusern teuer begleitet – wird das Vorhaben weit oben im Unternehmen geplant und dann wasserfallartig und mit viel Tamtam über alles und jeden „ausgerollt“. Heißt: Die Mitarbeitenden werden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Auch der vielfach verwendete, auf den Soziologen Kurt Lewin zurückgehende Dreiphasenprozess von „unfreeze, move, refreeze“ aus dem Jahr 1947 (!), kann nicht funktionieren, weil sich ein vereistes System mit den heutzutage üblichen permanenten Veränderungen reichlich schwertut. Auftauen dauert! Zudem weiß doch jeder, wie mühsam es ist, etwas Großes aus dem Stillstand heraus in Bewegung zu bringen, und wie einfach es ist, Bewegung zu ändern, wenn alles fließt.
Selbst in neueren Fachbüchern wird weiterhin der siebenstufige Change-Prozess der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross als Change-Vorlage herangezogen. Sie beschreibt das emotionale Erleben von Menschen in finalen Veränderungssituationen, beruhend auf Interviews mit Sterbenden und Trauernden. Es führt über Schock und Leugnung ins Tal der Tränen bis letztlich zur Akzeptanz. Also bitte! Wieso muss man Mitarbeitende als Sterbende betrachten und durch ein „Tal der Tränen“ manövrieren?
Gelungene Veränderungen bewirken in uns Glücksgefühle
Ungute Gefühle wie Angst, Druck und Zwang erzeugen Vermeidungsstrategien. Also wird man sich gegen das nächste Change-Projekt wehren. Oder man wird es verteufeln. Oder man sitzt es aus. So sind, kein Wunder, klassische Change-Projekte längst zu Hassprojekten verkommen. Und es scheitern, konträr zu den meist aufgehübschten Erfolgsgeschichten, um die 80 Prozent, wie diverse Studien zeigen.
Doch nicht der Starrsinn der Mitarbeiter:innen, ihre Beharrungstendenzen und ihre Unwilligkeit sind das Problem. Das Problem ist die falsche Vorgehensweise. Natürlich mag unser Denkapparat das Bekannte und die Routinen, weil beides Sicherheit bietet und Energie sparen hilft. Zugleich üben Herausforderungen eine starke Faszination auf uns aus. Wir empfinden Stolz und erleben Hochgefühle, wenn wir uns weiterentwickeln und das, was wir können, perfektionieren.
Aus der Motivationsforschung wissen wir seit Jahrzehnten, dass Menschen dann am engagiertesten sind, wenn sie sich selbst gegebenen, angemessenen Zielen stellen können, die zwar herausfordernd, aber dennoch erreichbar sind. Dann geben sie Gas und drücken auf die Tube. Das Ergebnis wird als Lernerfolg verbucht, den unser Hirn heftig feiert: mit einem Cocktail aus körpereigenen Glückshormonen wie Dopamin.
Eigeninitiierte Anstrengungen erzeugen Hochleistungsneuronen
Dopamin ist ein körpereigenes Opiat, ein ganz legales Aufputschmittel. Es bringt uns in eine ausgesprochen wohlige Stimmung. Es steigert die Kreativität, die Konzentration und den optimistischen Blick nach vorn. Es macht uns – je nach Art und ausgeschütteter Menge – fröhlich, euphorisch, enthusiastisch. Und es macht uns süchtig. Davon wollen wir mehr. Diese auf Steigerung ausgelegte Strategie der Natur wirkt wie ein Turbo: „Huiii, Dopamin. Fühlt sich gut an. Mach das nochmal. War toll.“
Zugleich prämiert unser Gehirn selbstinitiierte Anstrengungen mit dem Aufbau von Millionen von Hochleistungsneuronen. So machen uns Erfolgserlebnisse zunehmend leistungsfähig, unternehmungslustig, selbstsicher, wagemutig und siegesgewiss. Anhaltende Frustration, Handlangerarbeit und Mitläufertum hingegen sorgen dafür, dass der Ehrgeiz schwindet, weil die Produktion von Glückshormonen verebbt.
Menschen wollen wirksam werden, sie wollen die Welt mitgestalten, ihr Unternehmen nach vorne bringen. Man muss nur alles entfernen, was sie daran hindert. Wer hingegen in die Rolle des Erfüllungsgehilfen gedrängt wird, reagiert darauf mit einem lähmenden Ohnmachtsgefühl. Ohnmächtig, also fremdbestimmt und ohne Macht zu sein, das macht uns ganz klein, antriebslos, unsicher und krank. Hingegen blühen wir auf und beginnen, eigenverantwortlich zu handeln und Großes zu wollen, wenn man uns Freiraum gibt.
Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und erfolgreichen Wandel
Wird etwas „von oben“ verordnet und mit Druck oder Zwang behaftet, sorgt das für Ablehnung und Unlust. Zustimmung hingegen entsteht, wenn wir über eine Veränderung selbst entscheiden. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und gelingenden Wandel. Werden die Mitarbeitenden von Anfang an in den Veränderungsprozess eingebunden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Neue wirklich gelingt.
Wenn zudem die Entscheidungen „klein“ sind und man gewohnt ist, sie immer wieder anzupassen, ist es viel leichter, das Unternehmen zu restrukturieren, wenn die Umstände dies fordern. Sind die Entscheidungen hingegen „groß“ und neigt man firmenintern dazu, vorgedachten Plänen akribisch zu folgen, wird man auch dann noch an ihnen festhalten wollen, wenn sie unbrauchbar sind.
Wer größere Change-Maßnahmen plant, darf die Leute also nicht abkommandieren. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Menschen verschiedene Geschwindigkeiten haben, wenn es um Veränderung geht. Zudem haben manche ein hohes Strukturierungsbedürfnis, andere ein geringes Risikobereitschaftsniveau. Einzelne wollen gleich springen, etliche warten lieber erst mal ab. Das muss man respektieren.
Mein Vorschlag für Change: Folgen Sie der Innovation Curve
In jeder Firma gibt es Vorreiter, Mitläufer und Nachzügler. Insofern präferiere ich ein Change-Vorgehen in Anlehnung an die Innovation Curve des Kommunikationswissenschaftlers Everett Rogers. Seine Diffusionstheorie besagt, dass Neuerungen je nach Persönlichkeitstyp zeitlich verzögert übernommen werden. Und einer Faustregel zufolge entsteht Sog, wenn man mindestens zehn Prozent der Menschen für eine Sache gewinnt.
Was es demnach zunächst braucht, ist eine Avantgarde von Vorreitern und Schrittmachern mit Tatkraft und Durchhaltevermögen, um Veränderungen zu initiieren. Eine Gruppe als Ganzes ist sicherer, wenn zunächst nur eine kleine Vorhut der Willigen ins Neuland aufbricht, um dort nach Chancen zu suchen. Dann erst rückt man mit weiteren Einheiten nach. So ergibt sich Change in 5 Schritten:
1. Die Vorreiter stürzen sich mutig ins Neuland.
2. Die frühe Mehrheit benutzt Trittsteine dorthin.
3. Die späte Mehrheit wartet auf eine feste Brücke.
4. Die Nachzügler folgen erst ganz zum Schluss.
5. Einzelne kommen nicht mit oder bleiben zurück.
Change-Prozess in Anlehnung an die Innovation Curve von Everett Rogers
So funktioniert‘s: Der neue Change-Prozess in 5 Schritten
Beginnend mit den Vorreitern wird nach und nach die ganze Organisation durch den Transformationsprozess gehen. Die Stoßrichtung ist dabei nicht topdown, sondern horizontal. Von den Ersterfolgen inspiriert schließen sich immer mehr Menschen an. Die frühe Mehrheit wird nichts versuchen, bevor es nicht andere ausprobiert haben.
„Ihr müsst nicht durch den reißenden Fluss ans andere Ufer. Wir schicken eine Vorhut, die Trittsteine legt“, so ermuntert man die, die zunächst noch zögern. Sukzessive werden mit wachsender Gewissheit immer mehr Leute freiwillig über die Trittsteine in die Veränderung gehen. Denn nun ist das Ganze relativ sicher.
Wurden genügend Personen aus der frühen Mehrheit erreicht, das Neue zu wagen, wird die späte Mehrheit ihnen folgen. Dort sitzen viele Bewahrer. Die warten, bis auf beschilderten Wegen eine Brücke ins Neuland gebaut wurde und damit gefahrlos ist. Es bringt rein gar nichts, sie gleich zu Beginn mitnehmen zu wollen. Vielmehr beruhigt man sie, indem sie zunächst an den Veränderungen noch nicht teilnehmen müssen.
Bei den Nachzüglern sitzen die Bedenkenträger. Diese wird man erst dann überzeugen, wenn alle Gefahren beseitigt sind. Dabei ist zu differenzieren: Konstruktive Skeptiker können durchaus nützlich sein, weil sie einen dazu bringen, gründlicher nachzudenken und bessere Varianten zu finden.
Boykottierer hingegen, die neophobisch im Gestern verharren oder in eigennütziger Absicht alte Pfründe zu halten versuchen und deshalb an der Konservierung der Vergangenheit kleben, kann sich niemand noch länger leisten. Von ihnen muss man sich konsequent trennen. Manche werden von sich aus gehen. Sie verlassen das Unternehmen, weil es nicht mehr zu ihnen passt. Das lässt sich verschmerzen.
Denn viel wichtiger ist: Es bleibt ein engagiertes und hochmotiviertes Team von Vorwärtsdenkern und Übermorgengestaltern. Dieses erzeugt eine starke Anziehungskraft für neue, ambitionierte, quirlige Toptalente. Und genau das sind die Menschen, die jedes Unternehmen heute so überaus dringend braucht, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden.
(Dies ist ein Ausschnitt aus meinem neuen Buch „Bahn frei für Übermorgengestalter“)