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Angst muss weg! Mut muss her! Angst macht Unternehmen langsam und dumm

Als Cynthia Carroll zur Geschäftsführerin eines internationalen Bergbauunternehmens ernannt wurde, war die Aufregung groß. Die erste Frau an der Spitze eines bis dato streng alphahierarchischen Konzerns – und eine Amerikanerin in einem fremden Land, in Südafrika, wo es kurz davor den Frauen noch verboten war, ein Bergwerk unter Tage auch nur zu besuchen. Das ängstigte Cynthia kein bisschen.

Was sie aber erschreckte, war die hohe Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle, 200 in den letzten fünf Jahren. Das war definitiv inakzeptabel! Sofort hatte sie die alte Garde gegen sich. Die Arbeitsunfälle geschahen, so erzählte man ihr, weil sich die Bergleute nicht an die Regeln hielten oder einfach dumm waren, insofern könne man nichts daran ändern. Cynthia war entsetzt. Und sie verstand, dass sie in der Position war, Veränderungen in die Wege zu leiten.

Mutig schloss sie vorübergehend das problematischste Bergwerk, es machte acht Millionen Dollar Umsatz – pro Tag. So was hatte es noch nie gegeben. Ein Mitspracherecht der Arbeiter auch nicht. Aber egal. Sie versammelte an die 4.000 Bergleute in einem Stadion. Diese wurden in Gruppen von etwa 40 Personen aufgeteilt, um ihre Meinung zum Thema Sicherheit vorzubringen. Wie bei einer afrikanischen Dorfversammlung hatte jeder die Möglichkeit, zu sprechen, ohne unterbrochen oder kritisiert zu werden. So entstand ein Vertrag, der die Handlungen umfasste, die zur Maximierung der Sicherheit notwendig waren.

30.000 Arbeiter wurden in den so erarbeiteten Sicherheitsrichtlinien geschult. Die Todesfälle nahmen um 62 Prozent ab. Von nun an ehrte das Unternehmen die Verunglückten mit einem Gedenkgottesdienst. Vorgesetzte besuchten die Familien der Verstorbenen in deren Heimatdörfern und drückten ihr Mitgefühl aus. So schuf Cynthia ein Umfeld aus Mitspracherecht, Sicherheit und Respekt, das den Bergbau humaner machte. In ihrer Amtszeit erreichte das Unternehmen die höchsten Gewinne seiner Geschichte, erzählt Amy Edmondson in Die angstfreie Organisation.

Zukunftsskill Mut: Nur mit Mut ist die Zukunft zu packen

Was wäre, wenn … so lockt der Mut. Erfolgsgeschichten beginnen meistens mit Mut. Mut manifestiert sich in dem Moment, in dem wir uns aktiv entscheiden, die Sicherheit des Vertrauten hinter uns zu lassen, um das noch Unbekannte schöpferisch zu erkunden und beherzt in Angriff zu nehmen. Dabei kämpfen wir gegen innere und äußere Umstände an, gegen Konventionen, unser Umfeld, unsere Angst. Wir tun etwas, das wir nur selten tun oder noch nie getan haben: Wir betreten Neuland.

Immer zwischen Hoffen und Bangen stellen uns die möglichen Gefahren auf die Probe, entfachen Nervenkitzel, füttern uns mit unglaublicher Kraft. Und dann: geschafft. Freudentränen, siebter Himmel, Glückseligkeit. Weil sich Träume erfüllen. Und weil es sich großartig anfühlt, wenn Mut die Angst überwindet. Natürlich, man kann auch scheitern, doch es lohnt sich, mutig zu sein. Mut macht stark. Stärkt andere mit. Steckt andere an. Mut führt uns dorthin, wo Fortschritt ist.

Mut heißt immer, eine Schwelle zu überschreiten. Die braucht gar nicht hoch zu sein. Oft reicht ein erster kleiner Schritt. Er führt uns aus der Komfort- in die Wachstumszone. Ein Schritt mit Bedacht. Mut heißt ja nicht, waghalsig oder tollkühn zu sein. Mut ist eine Kombination aus Wissen, Können, Optimismus und Entschlossenheit. Mut wägt ab, kalkuliert die richtige Dosis und die beste Zeit.

„Es gibt Fehlschläge, die uns kämpferischer machen, und solche, die uns weiser machen. Und dann gibt es Fehlschläge, die uns offen machen für Neues“, schreibt der französische Philosoph Charles Pépin in seinem wunderbaren Büchlein Die Schönheit des Scheiterns. Selbst wer scheitert, gewinnt: an Erkenntnis – und an der Selbstachtung, es versucht zu haben. Mutlos-ängstliche hingegen glauben nicht, dass sie es schaffen können. So hat auch das Nichthandeln einen Preis: sich verstärkende Zweifel, ein immer größerer Mangel an Übung plus die Erkenntnis, in dem Elend ausharren zu müssen, dem man entfliehen wollte.

Ist Arbeit mit Angst besetzt, ist das quasi Körperverletzung

Aggression, Angst und Schrecken sabotieren die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben, weil die im Angstzustand ausgeschütteten Botenstoffe Synapsen blockieren. Das kennen wir alle als Blackout, zum Beispiel beim Lampenfieber oder der Prüfungsangst. Wie sowas kommt? Angst setzt zerebrale Mechanismen in Gang, die rationales Denken nahezu unmöglich machen. Sie sorgt auch dafür, dass man sachlichen Argumenten nicht mehr zugänglich ist. Zudem führt Angst zu einer massiven Verengung des Aufmerksamkeitsfeldes. Eine angemessene Urteilsbildung wird so blockiert.

Angst kann „durch alles ausgelöst werden, dem wir in unserer Verletzlichkeit ausgesetzt sind und das sich unserem Begreifen oder den Möglichkeiten unserer Kontrolle entzieht“, schreibt der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld in Angst und Macht. Angst entspringt also nicht nur einer unmittelbaren Bedrohung, sondern auch einer existenziellen Abhängigkeits- und Ohnmachtserfahrung. Zudem verfestigen sich Ängste, wenn man sie oft durchlebt. Der Dauerbeschuss von Stresshormonen unterdrückt auch die körpereigenen Abwehrkräfte, schwächt unser Immunsystem und macht uns krank.

Natürlich, als Warnsystem ist Angst unentbehrlich, denn Angst ist eine Überlebensgarantie. Wird sie hingegen aus machtpolitischen Gründen erzeugt, ist das töricht – und nicht tolerabel. Denn Blackouts im Business sind tödlich. Für Denkarbeit, die zu Innovationen führt, sind schnelle Synapsen zwingend vonnöten. Wer Command & Control noch immer als Erfolgsmodell sieht, dem fehlt vor allem eins: das Feingefühl, zu erspüren, wie sein Verhalten beim Gegenüber Trotz oder aufschäumende Wut, eisiges Desinteresse oder Rachegedanken erzeugt.

Kein Unternehmen kann sich eine Kultur der Angst leisten

Mit Angst im Nacken laufen wir zwar schneller, aber nur ein ganz kurzes Stück. Danach sind wir völlig ausgepowert. Angst lähmt und macht dumm. So haben verängstigte Mitarbeitende die unangenehme Eigenschaft, höchstens mittelmäßige Arbeit abzuliefern. Zudem wird die Aufnahme von Neuem durch Unsicherheit, Bedrohung und Stress stark behindert. Unablässiger Druck und das Androhen von Sanktionen versetzen den Körper in permanente Alarmbereitschaft, mindern seine Leistungskraft und ruinieren die Gesundheit.

Angst geht nicht ins Neuland. Und Kreativität, eine Schlüsselressource der Zukunft, schöpft aus der Quelle des Unterbewussten, das keine Angst haben muss. Schon allein deshalb kann sie nur in einem angstfreien Umfeld entstehen. Dann glaubt man an sein Potenzial – und an die Aussicht auf Erfolg. Man beschäftigt sich mehr mit dem Pro als dem Kontra. Man wird offener und damit ideenreicher. Man wird agiler und schreitet zur Tat. Die Dinge gehen locker und leicht von der Hand. Optimistisch geprägt sieht man vor allem die Chancen – macht entschlossen den Anfang, geht erste Schritte und kommt über Hürden behände hinweg.

Wo hingegen Angst regiert, friert alles ein. Das habe ich persönlich einmal anlässlich eines Workshops erlebt. Die Teilnehmenden wirkten völlig lethargisch. Haarklein sollte ich ihnen vorgeben, was wie zu tun sei, was ich natürlich nicht tat. Mittags gingen die Ersten heim, weil sie sich nicht wohlfühlten, zumindest sagten sie das. Wieso das so war, offenbarte sich bald: Auf einer Mitarbeiterversammlung hatte sich der CEO vor die Belegschaft gestellt und mit Nachdruck gefordert: „ICH WILL EINE NULL-FEHLER-KULTUR!“ Seitdem traute sich dort niemand mehr was.

Ein Umfeld schaffen, in dem die Mitarbeitenden mutig sein dürfen

Erst dann, wenn unser Geist nicht durch Sorgen und Nöte vernebelt ist, sind wir bereit für den Wandel und laufen zur Hochform auf. Die Menschen brauchen, damit sie Großes vollbringen, ein Umfeld, in dem sie mutig sein dürfen. Nur so können überragende Würfe gelingen. Vorsprünge erzielt man durch außergewöhnliche Vorgehensweisen, durch wagemutiges Handeln und einfallsreiche Ideen. Nicht Konformismus, sondern Mut muss man also in den Unternehmen belohnen:

  • den Mut, anders zu denken,
  • den Mut, anders zu handeln,
  • den Mut, Neues zu wagen.

Wie das gelingt, beschreibe ich in meinem neuen Buch Bahn frei für Übermorgengestalter ausführlich. Und, nach klar: Übermorgengestalter brauchen nicht unbedingt die ganz große Portion Mut, so wie Cynthia sie gezeigt hat. Oft ist es sogar klüger, wenn man mit kleinen forschen Schritten beginnt.

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