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Kommunikation Digitalisierung

Multisensorik und Online-Offline-Mix: Weshalb Pokémon Go so erfolgreich wurde

„Augmented Worlds“ werden in 2016 wohl Wirklichkeit sein, habe ich 2012 in meinem preisgekrönten Bestseller „Touchpoints“ geschrieben. Angesichts des unglaublichen Pokémon-Hypes hätte diese Vorhersage wohl nicht treffender ausfallen können. Zudem stehen Datenbrillen wie die Microsoft Hololens vor dem Durchbruch. Und VR-Brillen haben den Durchbruch bereits geschafft.

Doch was sind die Gründe, die eine augmentierte, also digital erweiterte Realität (AR) so faszinierend macht? Natürlich ist es zuvorderst das Neue ansich. Dann sind es die nützlichen Möglichkeiten, die AR-Anwendungen sowohl ins Business als auch ins Privatleben bringen. Doch das ist noch lange nicht alles. Kunden wollen nicht nur Funktionalität, sie wollen auch was erleben. Das bedeutet konkret:

  1. Menschen wollen spielen. Sie wollen Spaß. Und Siege erringen.
  2. Menschen mögen es, wenn sich die virtuelle mit der realen Welt wie magisch verknüpft.
  3. Menschen mögen Erlebnisse, die alle Sinne berühren.
  4. Menschen mögen das menschliche Miteinander.

Wer aus diesen vier Aussagen ein Geschäftsmodell macht, wird die Zukunft sicher erreichen. Denn wir sind multisensorische Wesen. Und das lässt sich real besser ausleben als rein virtuell. Die Zukunft gehört also denen, die Online und Offline perfekt miteinander verknüpfen.

Das „neue Neue“ ist die Rückbesinnung auf die Offline-Welt

Leider vergessen im aktuellen Digitalisierungsrausch vor allem die eingefleischten Online-Strategen, dass ein Großteil unseres Lebens immer noch Offline spielt. Lebensqualität ist dort, wo man fußläufig oder radelnd einkaufen kann und unter Menschen draußen im Sonnenschein zum Beispiel sein kühles Bierchen genießt. Ein persönliches Treffen ist immer wertvoller als ein Internet-Chat.

Das Physische hat also noch lange nicht ausgedient. Ganz im Gegenteil. „Mich interessiert das wahre Leben viel mehr“, bestätigt mir Julian, 14, ein YouTube-Star aus der Gamer Community. Parallel zur fortschreitenden Digitalisierung entsteht zunehmend der Wunsch nach realen Begegnungen, nach fassbaren Erlebnissen und körperlichen Erfahrungen.

Wir sind eben nicht aus Bits und Bytes gemacht, sondern aus Fleisch und Blut. So haben die Internetgrößen wie auch gewiefte Start-ups längst erkannt, dass sie nicht nur mit Online-Aktivitäten groß werden können, sondern sich auch offline präsent machen müssen. Die Eröffnung der Amazon-Stores ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Viele weitere ließen sich hier diskutieren.

Erfolgreich durch Sowohl-als-auch: digitaler, menschlicher, emotionaler

Selbst am digitalsten aller Orte, im Silicon Valley, steht physisches Miteinander sehr hoch im Kurs. Und es wird sehr viel Wert auf ein Wohlfühlklima gelegt, das Siege ermöglicht. Alles hockt nah beieinander. Und jeder redet mit jedem, um Inspirationen zu sammeln und Innovationen anzukurbeln. Selbst Milliardär Marc Zuckerberg hat seinen Schreibtisch mitten im Kreis seiner Leute – im größten Großraumbüro der Welt.

Berührungshunger ist allgegenwärtig. Ohne jeden sexuellen Hintergrund liegen wir uns bei allen möglichen Anlässen in den Armen, busseln und klatschen ab. Komm näher, komm riechen und fühlen, dass ich es gut mit dir meine, ist die unbewusste Botschaft, die im Hintergrund läuft. Online geknüpfte Bande werden auf diese Weise offline verstärkt. Und Sicherheit, die man online nicht hat, wird so überprüft.

Multisensorische Offline-Geschehnisse bergen eine Intensität in sich, die wir online einfach nicht erreichen können. In der Kommunikation gehört demnach in den Vordergrund, was den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes berührt. Die sensorische Aufladung ist wie eine Freifahrkarte, um im Kundenhirn einen Logenplatz zu ergattern. Und in einer zunehmend digitalisierten Umgebung stechen sinnliche Eindrücke besonders heraus.

Alte und neue Meister der Multisensorik

Ein Meister der multisensorischen Inszenierung ist die katholische Kirche. Denken wir nur mal an das Glockengeläut, den Duft von Weihrauch, die Kühle an heißen Sommertagen, die einen umfängt, die gedämpften Schritte auf dem Marmorboden, das Stimmengemurmel im Mittelschiff, das Sonnenlicht, das sich in den bunten Glasfenstern bricht, die flackernden Kerzen vor dem Marienaltar, das einsetzende Orgelspiel, die gemurmelten Gebete und die Liturgie der heiligen Messe.

Multisensorisches Marketing (Sensory Branding) hat auch für die Kfz-Industrie eine sehr große Bedeutung. Kunden kaufen ja nicht einfach nur ein Fahrzeug, sondern vor allem ein emotionales Erlebnis. Dabei ist ein Auto nicht nur was für die Augen und das Fahrgefühl, es ist wie ein kleines Orchester: Es schnurrt, es orgelt, es röhrt, Hauptsache es scheppert und hustet nicht. Autofahrer brauchen solche akustischen Feedbacks. Sie sagen ihnen etwas über den Gesundheitszustand ihres Wagens.

Wenn etwas nicht in Ordnung ist: Geübte Fahrer hören das sofort. Völlig geräuschfreie Autos sind also – auch wegen der Unfallgefahr – gar nicht wünschenswert. Dennoch müssen die Sounddesigner nicht nur entscheiden, was wie klingen soll, sondern auch, was still bleiben muss. Denn störende Geräusche würden uns nur irritieren. Oder in Sorge versetzen. Ähnliches gilt für Gerüche im Auto. Daran arbeiten „Nasenteams“.

Apple: ein multisensorisches Großfeuerwerk

Bei „religiösen“ Marken wie Apple findet man eine Menge Sensorik – wie auch Symbole und Rituale, Mysterien und Mythen. Die Marke hat sich sogar eine eigene Kathedrale gebaut: den Flagship Store an der 5th Avenue in New York. Eines der umsatzstärksten Geschäfte der Welt. Hier wird die Marke gefeiert. Mit allen Sinnen.

Das formschöne Design der Geräte wird durch spezielles Licht in Szene gesetzt. Der Winkel, in dem die kleinen Schönheiten dem Publikum präsentiert werden, ist genau berechnet. Die Geräte schmeicheln dem ästhetischen Empfinden derart, dass sie manchen zum Fetisch werden – und eine nahezu zwanghafte Bereitschaft erzeugen, dafür eine Menge Geld zu bezahlen.

Zudem stellen sich Empfindungen ein, wenn wir die Geräte berühren. So ist das iPhone von einem Band aus gebürstetem Stahl umgeben, was nicht nur edel aussieht und als Qualitätshinweis dient. Wir fühlen im wahrsten Sinne des Wortes, denn Metall leitet. Die Box, in die es verpackt ist, ist nicht nur elegant, sie ist auch beduftet.

Das Auspacken, „unboxing“ genannt, wird zelebriert – und als YouTube-Filmchen mit der Welt geteilt. Die weißen Kopfhörer wurden zum Stammeszeichen einer ganzen Generation. Jedes noch so kleine Signal aus der Unternehmenszentrale sorgte bislang für kollektive Erregung. Die Präsentation eines neuen Geräts war manchen wie eine Offenbarung. Zumindest aber war sie ein perfekt orchestriertes Ritual.

Mehrsinnig statt einsinnig: So heißt das Ziel

Die Verwendung sinnlicher Elemente, auch sensorisches Branding genannt, stimuliert das Kundenerlebnis beträchtlich. So hat die Brand Sense-Studie von Millward Brown gezeigt: Die durchschnittliche Markenloyalität steigt von 28 Prozent bei nur einem positiv angesprochenen Sinn auf 43 Prozent, wenn die Marke über zwei bis drei Sinne inszeniert wird.

Gelingt die Einbeziehung von vier oder sogar allen fünf Sinnen, steigt die Treue zur Marke im Schnitt auf 58 Prozent. Deshalb reicht es nicht aus, ein Produkt rein visuell zu präsentieren. Mehrsinnig statt einsinnig lautet das Ziel. Jedoch geht es dabei nicht um Insellösungen, sondern um ein virtuos synchronisiertes Konzept. In den nächsten Blogbeiträgen – und natürlich auch in meinem neuen Buch Touch.Point.Sieg – erfahren Sie mehr.

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