„Bei uns ist die Kernarbeitszeit von elf bis eins“, erzählt mir mein Neffe Christopher, 25, der bei einer Internetfirma tätig ist. Ja, dank mobiler Kommunikationstechnologien ist die physische Präsenz im Büro bei Weitem nicht mehr so zwingend wie noch vor wenigen Jahren.
Starre Arbeitsstrukturen lösen sich auf. Wir sind zu digitalen Beduinen geworden. So können wir endlich die Sehnsucht nach einem Zustand stillen, der Jahrmillionen lang unser eigen war. Als Savannenbewohner sind wir durch die Gegend gestreift, immer im Wechsel zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit. Suchend und findend haben wir uns Neuland erschlossen.
Menschen brauchen Face-to-Face
In virtuellen Welten, zum Beispiel in Computerspielen, stellen wir nun solche Szenarien nach. Hightech-Geräte sind unsere „Waffen“ von heute. Doch weil wir soziale Wesen sind, reichen Homeoffice und virtuelle Vernetzung am Ende nicht aus.
Wir brauchen Begegnungen in der realen Welt. So ist das Büro nun unser „Wasserloch“, an dem wir uns regelmäßig versammeln. Und nicht mehr per Rauchzeichen, sondern über Statusmeldungen sind wir ständig mit all denen verbunden, die uns wichtig sind.
Physische Nähe sorgt für Verbundenheit
Wer oft miteinander zu tun hat, sollte nicht nur im gleichen Gebäude, sondern möglichst auch im gleichen Stockwerk arbeiten. Wir suchen unsere Mitmenschen am ehesten auf gleicher Ebene auf, auch dies ist ein Relikt aus unserer Ära als Savannenmensch.
Wir brauchen Raum um uns herum, helles warmes Licht, sinnvolle Laufwege, Rückzugs- und Erholungsorte, Kuschelecken – und Zeit für Plauschpausen. Und wir brauchen Kommunikationsinseln, aber nicht eckige, sondern runde Versammlungseinheiten, denn wir haben früher in Höhlen gelebt und an Lagerfeuern palavert,
Kreativität geht nicht auf Kommando
Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Aber sie entsteht nicht auf Kommando, wenn man am Schreibtisch sitzt, sondern immer dann, wenn sich unser Denkapparat entspannt und Gedankenrohlinge mit anderen teilt.
Für die verschiedenen Phasen der Projektarbeit brauchen wir unterschiedliche Raumkonzepte. Und dort, wo Präsenzarbeitsplätze zurückgebaut werden und qualifizierte Heimarbeit wächst, muss virtuelles Plauschen möglich sein. Firmeninterne Foren, Blogs und Wikis schaffen auch aus der Ferne das notwendige Gefühl des Dazugehörens.
Work-Life-Integrität ist gefordert
Insgesamt vermischen sich Freizeit und Arbeit immer mehr. „Downtime“, also Phasen der Entspannung, finden nicht mehr nach 17 Uhr und am Wochenende statt, sondern immer dann, wenn es gerade passt.
Da nun die Mitarbeiter den Unternehmen Privatzeit schenken, müssen die Unternehmen ihren Mitarbeitern auch Eigenzeit während der Arbeit schenken. Eine neue Ganzheit, also die sinnvolle Taktung zwischen Arbeit und Leben, die für unsere Urahnen selbstverständlich war und erst im Industriezeitalter zerlegt worden ist, kann wieder entstehen.
Das ist es, was ich Work-Life-Integrität nenne. Dabei gilt: alles kann, nichts muss. Niemand sollte zu der einen oder anderen Arbeitsweise gezwungen werden. Die Rahmenbedingungen müssen also zum jeweiligen Mitarbeitenden passen.
Auf den Rollcontainer beschränkt?
„In Österreich wählen Bewerber ihren Arbeitgeber bereits zu 67 Prozent nach den Kriterien der Orts- und Zeitunabhängigkeit“, sagt Michael Bartz, Leiter des Forschungsprojekts New World of Work an der FH Krems.
Dort, wo viele ständig auf Achse sind, gehört schon allein aus ökonomischen Gründen ein eigenes Firmenbüro der Vergangenheit an. Das eigene Territorium ist auf den Rollcontainer beschränkt. Mit ihm ist man immer dorthin unterwegs, wo sich Arbeitsgruppen für ein Projekt auf Zeit zusammenfinden.
Führen geht heute definitiv anders
Eine Vier-Tage-Arbeitswoche ist kein Krisensignal mehr, sondern ein bewusst gewählter Lebensentwurf. Eine Sechzig-Stunden-Woche dient nicht länger den Karrierezielen, sondern ist Vorleistung für ein Sabbatical. Denn wer „always on“ ist, braucht dringend auch mal Entschleunigung.
Die verschiedenen Herangehensweisen von Digital Natives und Analog Seniors müssen unter einen Hut gebracht werden. Das ständige Kommen und Gehen von Mitarbeitern verlangt Flexibiliät, Offenheit und unermütliche Kraft. Und derjenige, der Mitarbeiter führt, die er nicht täglich um sich hat, benötigt besonders viel Empathie.
Das reine Kontrollieren von Arbeitsleistungen wird mehr und mehr von Software-Programmen erledigt. So werden Führungskräfte nur noch für Dinge gebraucht, die Computer (noch) nicht können, nämlich die Analytik mit Intuition und Menschenversteherwissen zu verknüpfen. Wer das nicht kann, dem ist die Führungslizenz sofort zu entziehen.