Menschen übernehmen automatisch Gefühle voneinander, die Emotionen gleichen sich an. Gefühle sind ansteckend, sagen wir auch. Verantwortlich dafür sind Spiegelneuronen. Immer dann, wenn wir Kontakt mit anderen Menschen haben, schalten sich unsere Hirne zusammen. Der Volksmund weiß dies schon lange. Er spricht von gleicher Wellenlänge oder gleicher Chemie.
Und – welch tolle Nachricht und gut zu wissen: Die positiven Gefühle breiten sich leichter aus. So sollten bei einem Experiment die Versuchspersonen Menschen auf der Straße anlächeln oder ihnen ein Stirnrunzeln zeigen. 52 Prozent der angelächelten Passanten lächelten spontan zurück. Das Stirnrunzeln hingegen wurde nur in sieben Prozent der Fälle erwidert.
Wofür Spiegelneuronen so alles verantwortlich sind
Im Jahr 1992 entdeckte ein Forschungsteam der Universität Parma unter Giacomo Rizzolatti den Spiegelneuronen-Effekt zufällig bei Versuchen mit Affen. Später wurden Spiegelneuronen in immer größerer Zahl auch bei Menschen entdeckt, sogar im Schmerzzentrum des Gehirns. Und so spüren wir den Schmerz der anderen quasi in uns selbst. Wir leiden mit – und wollen denen helfen, die uns nahe sind. Entfernter Schmerz hingegen lässt uns vergleichsweise kalt.
Spiegelneuronen, so der Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer in seinem wunderbaren Buch Warum ich fühle was du fühlst, sind „Nervenzellen, die im eigenen Körper ein bestimmtes Programm realisieren können, die aber auch dann aktiv werden, wenn man beobachtet oder auf andere Weise miterlebt, wie ein anderes Individuum dieses Programm in die Tat umsetzt“.
Es gibt zwei Arten von Spiegelneuronen
Wir erleben also, was andere fühlen, in einer Art innerer Simulation. Dafür sorgen die emotionalen Spiegelneuronen. Merken wir etwa, dass jemand schlecht über uns denkt, dann werden wir ihn nicht mögen und Abstand halten. Merken wir hingegen, dass jemand uns mag, dann freuen wir uns so sehr darüber, dass wir ihn umgehend mit Gegenliebe belohnen.
Zudem gibt es motorische Spiegelneuronen, die nachmachen, was andere vormachen. Dies führt zu spontaner Imitation, zum Gleichschritt in einer Gruppe und zur Kopie von Duktus und Habitus. So öffnen wir automatisch den Mund, wenn wir ein Baby füttern wollen, damit es sein Mündchen öffnet. Motorische Spiegelneuronen machen insbesondere Kinder zu wahren Imitationskünstlern.
Spiegelneuronen helfen uns beim Überleben
Sich spiegelnde Reaktionen haben einen enormen Überlebenswert. Wenn andere Angst zeigen, kann es gute Gründe geben, auf der Hut zu sein, auch wenn man selbst keine Gefahr wittert. So entwickeln wir, wenn wir ein ängstliches Gesicht sehen, in uns die gleiche Erregung, allerdings weniger intensiv. Auf diese Weise entstehen auch der Herdentrieb und die Massenpanik. Die Gehirne beginnen, im gleichen Takt zu ticken.
Spiegelphänomene machen alle erdenklichen Situationen vorhersehbar. Und sie erzeugen Empathie. Empathie bezeichnet die Fähigkeit, Gefühle und Motive anderer Menschen zu erkennen und zu verstehen; es geht also sowohl um Einfühlungsvermögen als auch um Mitgefühl. Sie schützt uns nicht vor Irrtümern, kommt aber der Realität oft sehr nahe. Die meisten Menschen haben übrigens ein feines Intuitionsradar für richtig und falsch.
Vor allem die Augen anderer spielen dabei eine Rolle. Denn Augenbewegungen verraten Handlungsabsichten. Und Tonfall, Gestik und Mimik erzählen Geschichten über Gedanken. Diese Sprache verstehen wir auch ohne Worte. Daraus folgt: Wenn man Leuten von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, ist es viel schwieriger, unlautere Absichten zu verbergen. Reale Begegnungen geben uns also größere Sicherheit.
Schlüssel beim Aufbau von Sympathie und Vertrauen
Die Gefühle anderer nachempfinden und angemessen darauf reagieren zu können, scheint eine Schlüsseleigenschaft beim Aufbau von Sympathie und Vertrauen zu sein. Spiegelzellen zu haben, die tatsächlich spiegeln, ist demnach sowohl im Mitarbeiter- als auch im Kundenkontakt äußerst hilfreich. Fehlendes Einfühlungsvermögen hingegen ist eine bedeutende Ursache für inkompetentes Führungsverhalten, missglückende Kommunikation und schlechte Verkaufsergebnisse.
Nachdem wir nun wissen, dass jede Art von Gefühlen ansteckend ist, sollten wir uns gut überlegen, von wem wir uns anstecken lassen. Dies betrifft natürlich den privaten Bereich genauso wie das Arbeitsumfeld. So ergab eine Studie des Wissenschaftlers Andrew Woolum von der Universität Florida, dass Menschen, die im Büro zum Beispiel Beleidigungen oder Mobbing erfahren hatten, sogar noch nach einer Woche ein ähnliches Gebaren gegenüber Dritten zeigten.
Vorsicht Ansteckungsgefahr: wie drinnen, so draußen
Spiegelneuronen erklären wohl auch das Entstehen von Kohortenverhalten und Gruppenzwängen innerhalb einer Unternehmenskultur, in der (fast) alle wie geklont auf eine ähnliche Weise agieren. So erscheint die Vorbildfunktion der Oberen nun in einem ganz neuen Licht. Deren Tun färbt maßgeblich auf die Mitarbeiter ab.
Schon ein einziger Hardliner in der Geschäftsleitung kann die Kultur eines ganzen Unternehmens vergiften. Und meist dauert es auch nur wenige Tage, dann behandeln die Mitarbeiter ihre Kunden genauso, wie sie selbst von ihren Chefs behandelt werden.
Die meisten Probleme im Umgang mit Kunden haben ihren Ursprung drinnen in den Unternehmen. Das heißt: Servicemiseren entstehen durch Führungsmiseren. Wo die Unternehmenskultur schlecht ist, da wollen auch keine Kunden sein. Denn dicke Luft kann man spüren. Wenn es hingegen den Mitarbeitern gut geht, dann überträgt sich das auf die Kunden.
Was darüber hinaus so alles zu tun ist, um an jedem Touchpoint, also den Berührungspunkten zwischen Anbieter, Mitarbeiter und Kunde, in den „Momenten der Wahrheit” Begehrlichkeit zu erzeugen, steht ausführlich in meinem neuen Buch Touch.Point.Sieg., das gerade zum Trainerbuch des Jahres gekürt worden ist.
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