„Was kostet es uns, wenn wir in Sachen Nachhaltigkeit weiterhin zögern?“ Das sollte eine der Kernfragen jeder Geschäftspolitik sein. Und jegliches eigene Zögern müsste ein Preisschild bekommen. Denn unternehmerische Zögerlichkeit verursacht erhebliche Kosten – und führt letztlich ins Aus. Der Tod ganzer Industrien ist schon besiegelt, weil sie sich nicht rechtzeitig wandeln.
Betriebsstörungen durch Wetterextreme, Materialknappheit, unterbrochene Lieferketten, Produktionsausfälle: alles längst Normalität. Bereits jetzt zahlen wir einen hohen Preis für das hartnäckige Zögern der letzten Jahre. Zögern wir weiter, werden die Aufwendungen für den Umweltschutz explodieren, der Zeitdruck steigt, die Einschränkungen werden größer, das Gefährdungspotenzial nimmt weiter zu und das Sicherheitsrisiko wächst für uns alle dramatisch.
Doch nur, wem es gutgeht, der kann auch konsumieren. Handeln wir nicht, werden sich viele das Klima, das wir in Zukunft haben, nicht mehr leisten können. Infolgedessen wird den Anbietern eine Menge Kaufkraft entgehen. Umwelt-, Klima- und Artenschutz kann weit mehr Menschen ein besseres Leben ermöglichen, als sie es heute haben. Und genau das müsste doch im Interesse der Unternehmen sein.
Zudem haben Extremsituationen überproportional negative Auswirkungen auf einkommensschwache Gruppen. Und soziale Ungleichheit schafft Konflikte, auch das merken wir längst. Auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft ist eine stabile Gesellschaft die weitaus bessere Wahl. Das volle Potenzial kluger Menschen kann man nur in Frieden und Freiheit bekommen.
Die Kosten für Umwelt- und Klimaschäden sind immens
In Politik und Wirtschaft glauben derzeit manche tatsächlich, wir könnten durch eine Rückkehr zu einem früher einmal erfolgreichen Handeln unsere traditionellen Unternehmen retten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Solange man die Unternehmen etwa durch Subventionen für ihre alten, oft umweltschädlichen Vorgehensweisen belohnt, wird es kein neues Verhalten geben.
So fallen Unternehmen mit antiquiertem Denken und Handeln immer weiter zurück. Erste Versicherungsgesellschaften versichern Firmen, die Umwelt und Klima stark belasten, bereits nicht mehr. Zudem werden Versicherer für viele klimabedingten Risiken keinen Versicherungsschutz mehr anbieten können. Ganze Regionen werden unversicherbar.
Der fortschreitende Klimawandel und häufigere Wetterextreme führen weltweit und auch in Deutschland zu immer höheren Schäden an Privat- und Firmeneigentum, an der Infrastruktur und in der Landwirtschaft. Und je höher der Temperaturanstieg, desto höher sind zugleich die Kosten, die die Allgemeinheit tragen muss. Wie lange will sich die Weltgemeinschaft das noch von profitgierigen Unternehmen gefallen lassen?
Kognitive Zukunftskurzsichtigkeit? Das rächt sich schnell
Vielerorts müsste sich das Kerngeschäft wandeln, doch das tut es nicht. Der nötige Umbau wird immer weiter nach hinten verschoben, weil jetzt Ergebnisse erzielt werden müssen. Das nächste Quartal steht vor der Tür, und alle müssen rödeln, um eine irrige Punktlandung auf Planvorgaben zu schaffen. Dann noch ein Quartal. Und noch eins. Ständig gibt es Ausreden, wieso man sich „grad noch nicht“ damit befassen kann.
Indem Etablierte derart im Alten verharren, machen sie es vorauseilenden Firmen überaus leicht, respektable Vorsprünge einzufahren. So ziehen die Zukunftsversteher mit neuartigen Lösungen, attraktiveren Jobs für junge Talente und frischem Geld an ihnen vorbei. Weshalb sich dennoch zu wenig bewegt? Der Nutzen von Innovationen in eine gute Umweltpolitik entsteht erst in der Zukunft. Die Kosten hingegen trüben jetzt die Bilanzen – und sie fallen bei machtvollen Interessengruppen an.
So haben allein die fünf größten Öl- und Gaskonzerne und ihre Interessenverbände seit 2010 über eine Viertelmilliarde Euro in Lobbykampagnen gesteckt, um klimafreundliche Maßnahmen zu verzögern, abzuschwächen, zu sabotieren und zu verhindern.[i] Weltweit müssten die CO2-Emissionen deutlich sinken, damit die gesteckten Klimaziele erreicht werden können. Doch sie steigen munter weiter. Im letzten Jahr haben sie ein neues Rekordniveau erreicht.[ii]
Nachhaltigkeit first! Doch viele Anbieter tun nur so als ob
Öffentlichkeitswirksam werden vielerorts hehre Nachhaltigkeitsziele verkündet, doch hinterrücks gleich wieder zurückgenommen. So hat der Corporate Climate Responsibility Monitor 2023 die Klimaschutzpläne von 24 weltweit tätigen Großunternehmen, die sich selbst als Klimaführer bezeichnen, durchleuchtet und kam zu dem Schluss, dass nur fünf der untersuchten Konzepte tragfähig waren.
Die übrigen Firmen, alles klingende Namen, nutzten vage oder schlichtweg irreführende „Netto-Null“-Zusagen, um sich eine „grüne“ Maske überzustreifen.[iii] Zum Beispiel rechneten sie die Emissionen ihrer Lieferketten nicht ein. Neuware wurde geschreddert, jedoch als Recycling gelabelt. Oder sie verkauften ihre klimaschädlichen Aktivitäten, lassen also die Drecksarbeit Andere machen, um selbst gut dazustehen.
Klimaneutral bis 2030, 2040 oder 2050? Viel wird versprochen, doch wenig passiert. Doppelzüngig wird auf Selbstverpflichtung gepocht, um Zeit zu gewinnen, das schädliche Bisherige weiter zu tun. Listig werden Regularien ausdrücklich begrüßt, doch hinter den Kulissen bleibt alles beim Alten. Viele spielen „grünes“ Theater. Zum Glück werden solche Firmen, wie kürzlich Adidas, immer öfter öffentlich entlarvt.[iv]
Längst ist ein neues Spiel mit neuen Regeln im Gang
Tradierte Industrien tendieren vielfach dazu, bestehende Geschäftsmodelle so lange wie möglich aufrecht zu erhalten – und versuchen so, das Kapital zu schützen, das in ihren vergreisten Technologien gebunden ist. Sie sind in der Nachspielzeit eines alten Spiels zugange und merken gar nicht, dass längst ein neues Spiel mit neuen Spielregeln begonnen hat. Wenn ihr Siechtum schließlich für alle sichtbar wird, ist es meist zu spät.
Bisweilen möchte man – mit Verlaub – meinen, Eichhörnchen hätten mehr Zukunftssinn als so mancher hochbezahlte Wirtschaftsboss. Eichhörnchen sorgen vor, für den Fall, dass die Zeiten schlechter werden. Viele etablierte Manager hingegen praktizieren das „Nach mir die Sintflut“-Prinzip. Für sie klingt Zukunft nach irgendwann.
Von kognitiver Zukunftskurzsichtigkeit befallen oder durch Eigeninteressen geleitet, pressen sie lieber das Bestehende aus, warten zu lange ab, scheuen den Fortschritt, gehen vorsichtshalber keine Risiken ein. So sorgen sie dafür, dass ihre Arbeitgeber zu Innovationsnachzüglern werden – und alsbald vom Markt verschwinden. Denn „plötzlich“ haben andere, die nach den neuen Spielregeln spielen, sie überholt.
Nachhaltige Innovationen brauchen ein attraktives Anreizsystem
Was übermorgen der Renner sein soll, müssen wir heute vorbereiten. Nachhaltige Innovationen kosten Zeit und Geld. „Das muss warten“, heißt es zum Beispiel, „das nächste Quartal steht vor der Tür, und die Zukunft läuft uns ja nicht davon.“ Autsch! Ist das klug, zugunsten einer Quartalsergebnisse-first-Politik die eigene Zukunft immer weiter nach hinten zu schieben? An der Zukunft arbeitet man täglich!
Schuld an der Misere sind oft falsch aufgesetzte, rein auf Kurzzeitergebnisse zielende Incentive-Programme. Denn getan wird, was belohnt wird. Und Boni sind für Manager wie fette Beute. Erinnern Sie sich, als vor Jahren die Offenlegung der CEO-Vergütung beschlossen wurde? Dies sorgte nicht, wie gewünscht, für mehr Transparenz, sondern für einen Wettlauf darum, wer die höchste Vergütung einstreichen konnte.
Die Etablierung eines Anreizsystems für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen ist überaus sinnvoll. Werden beispielsweise Bestandteile der Vergütung kategorisch an Nachhaltigkeits-KPIs gekoppelt, steigt der Ansporn für die Geschäftsführung und das Management, die anvisierten Ziele zu priorisieren. Ergo: Damit die Unternehmen nicht sterben, müssen Boni an Innovationen gebunden werden, nicht nur an kurzfristige Quartalsergebnisse. Sonst wird das nix mit der Zukunft.
[i] https://taz.de/Einfluss-von-Firmen-auf-EU-Klimapolitik/!5666698/
[ii] https://nachhaltigwirtschaften.at/de/iea/publikationen/co2-emissionen-weltweit-2023.php
[iii] https://newclimate.org/sites/default/files/2023-02/NewClimate_CorporateClimateResponsibilityMonitor2023_Feb23.pdf
[iv] https://www.sazsport.de/hersteller/adidas/adidas-klimaneutralitaet-2050-werben-2953855.html#:~:text=Das%20Landgericht%20N%C3%BCrnberg-F%C3%BCrth%20hat%20Adidas%20untersagt%2C%20weiter%20mit,Ziel%20durch%20Emissionsreduktion%20oder%20durch%20Kompensation%20erreicht%20wird.