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Circularity: Von der Raubbaugesellschaft zur Kreislaufökonomie

Wir haben gelernt, CO₂ in die Luft zu pusten, jetzt müssen wir lernen, es wieder einzufangen. Es ist uns gelungen, wertvolles Ackerland zu verwüsten, jetzt müssen wir lernen, es wiederaufzubauen. Wir haben es geschafft, unsere Umwelt mit Chemikalien aller Art zu vergiften, jetzt müssen wir lernen, das rückgängig zu machen. Wir haben die Ozeane mit Müll zugekippt, jetzt muss der wieder weg.

Ab sofort darf es nicht länger gratis sein, den Planeten zu ruinieren. Nichts sollte mehr produziert werden, ohne präzise vorauszudenken, was mit dem Produkt und den eingesetzten Materialien später geschieht. Zum Beispiel sollte „kein Gebäude geplant und errichtet werden, dessen Baumaterialien nicht gezielt wiederverwendbar sind.“ Das ist die Vision der in den Niederlanden ansässigen Stararchitekten Sabine Oberhuber und Thomas Rau.

In ihrem Buch „Material Matters“ beschreiben sie den Weg von der Raubbau- zu einer Erntegesellschaft und von der Sackgassen- zur Kreislaufökonomie. Diese will eingebrachte Ressourcen so lange wie möglich in einem durchdachten Verwendungskreislauf halten. Dabei werden Material- und Energiebedarf minimiert, möglichst wenig Abfälle produziert und möglichst geringe Emissionen erzeugt.

Herrenknecht: So funktioniert Circularity in ganz großem Stil

Das bislang geläufige lineare „Take-Make-Waste-System“ (Rohstoffe abbauen und weit transportieren, Produkte herstellen und distribuieren, nutzen und dann weg damit) wandelt sich zu einer zirkulären „Make-Use-Harvest-Wirtschaft“, und damit in eine sichere, gesunde und gerechte Welt mit sauberer Luft, sauberem Wasser, sauberem Boden und sauberer Energie. Solches Vorgehen löst die Probleme der Rohstoffknappheit, reduziert toxischen Schrott, dezimiert Müllberge, bremst die Ressourcenverschwendung und verringert klimaschädliche Emissionen.

Das funktioniert? Beinahe bei jedem Produkt. Auch in ganz großem Stil. So macht das Familienunternehmen Herrenknecht, Weltmarktführer bei Tunnelvortriebsmaschinen, seinen Kunden das Angebot, die Bohrgiganten nach getaner Arbeit zurückzukaufen. Diese werden dann komplett auseinandergenommen, generalüberholt und in einen neuwertigen Zustand versetzt. Auf solche Remanufaktur-Produkte gibt das Unternehmen eine Garantie von 10.000 Arbeitsstunden.

Das entspricht einem ununterbrochenen Einsatz von rund anderthalb Jahren. Dieses Vorgehen verbilligt nicht nur den Neukauf, sondern erspart den vorherigen Kunden die teure Entsorgung. Zudem werden wertvolle Rohstoffe mehrmals wiederverwendet. Die energetischen Einsparungen liegen bei einer komplett aufgearbeiteten Tunnelbohrmaschine bei 80 Prozent, die Materialeinsparungen bei bis zu 99 Prozent.

Der Unterschied zwischen Recycling und Kreislaufwirtschaft

Oft werden Recycling und Kreislaufwirtschaft als Synonyme betrachtet. Doch die Konzepte unterscheiden sich gravierend. Während die Kreislaufwirtschaft darauf beruht, Abfälle von Anfang an zu vermeiden, zielt die Recyclingwirtschaft lediglich auf die Abfallverwertung. Letztere konzentriert sich demnach auf Recyclingverfahren zur Rückgewinnung von Materialien für die Herstellung neuer Güter.

Das Ziel ist die Reduzierung von Deponieabfällen und die Umleitung dieser Materialien zurück in die Produktion, um Umweltauswirkungen zu minimieren. Somit ist die Recyclingwirtschaft nur ein Teil der Kreislaufwirtschaft, der Circular Economy.

Bei der Circular Economy geht es im Kern darum, nur noch Produkte herzustellen, die sich am Ende ihres Lebenszyklus komplett zerlegen lassen, so dass ihre Komponenten modular weiterverwertet werden können. Ziel ist es, deren Wert so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Die verwendeten Materialien werden zu Rohstoffen für andere Unternehmen und können damit nahtlos im Kreislauf verbleiben.

Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft arbeiten von Anfang an, also bereits in der Konzeptionsphase, auf dieses Ziel hin. Sie sind vernetzt und arbeiten in Liefer- und Produktionsketten zusammen. Durch vorausschauende Planung und gemeinsame Abstimmung gelingt es, eine effiziente Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten.

Die vier Grundprinzipien für nachhaltiges Wirtschaften

Circularity unterscheidet zwischen einem biologischen Kreislauf für biologisch abbaubare Stoffe und einem technischen Kreislauf, in dem Metalle und Kunststoffe zirkulieren. Zudem geht es um Energie-Effizienz. In Anlehnung an das Cradle-to-Cradle-Konzept des Verfahrenstechnikers Michael Braungart sieht das so aus:

  • Im biologischen Kreislauf wird der Abfall eines alten Produktes zur Nahrung für die Natur und neues Leben. Was weggeworfen wird, muss biologisch komplett abbaubar sein. Technisch ist sowas längst möglich. So lassen sich Produkte des österreichischen Edelwäscheherstellers Wolford, wenn Temperatur und Luftfeuchtigkeit stimmen, innerhalb von 60 Tagen zu Humus kompostieren.
  • Im technischen Kreislauf wird die Nutzungs- und Lebensdauer von Produkten erhöht, indem diese sortenrein in ihre Einzelteile zerlegt und dann wiederverwendet, repariert und so aufbereitet werden, dass die Qualität über mehrere Lebenszyklen erhalten bleibt. Aufgrund einer Vermischung der Materialien und dem Verkleben der einzelnen Komponenten ist das bislang allerdings nur selten möglich.
  • Stoffe, die schädlich für Mensch und Umwelt sind, dürfen nicht im Kreislaufsystem gehalten werden. Dies gilt vor allem für gefährliche Chemikalien, toxische Metalle, gesundheitsschädliche Farbstoffe, Materialien, die den Boden und das Grundwasser verseuchen, giftige Gase sowie Substanzen, die die Gesundheit belasten, Krebs erzeugen können oder das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit stören.
  • Der Umstieg auf nichtfossile Energien wird vehement vorangetrieben. Zum Beispiel entstehen Solarfarmen in seichten Gewässern, schwimmende Windparks sowie Gezeiten- und Wellenkraftwerke im Meer. Ausgedehnte Photovoltaik-Anlagen und dezentrale Speichersysteme sorgen zuverlässig für Energieautonomie. Hinzu kommen Flugwindanlagen, Geothermie und umfängliches Batterierecycling.

Wir können in GreenTech und ClimateTech führend werden

Digitaltechnologien und immer ausgefeiltere künstliche Intelligenzen werden uns helfen, diese vier Forderungen praktikabel zu machen. So kann KI in irrer Geschwindigkeit Szenarien proben und eine Vielzahl von Varianten für zirkuläre Produkte, Komponenten und Materialien designen. Computersimulationen, digitale Prototypen und maschinelles Lernen können Optionen validieren, Designvarianten testen und rasch verbessern.

KI-gestützte Nachfrageprognosen, der Aufbau zirkulärer Infrastrukturen, eine energieeffiziente Anlagennutzung sowie eine smarte Logistik, die Routen optimiert und Leerfahrten vermeidet, sind weitere lohnende Einsatzgebiete.

Umweltschutz, Ingenieurskunst und Digitalkompetenz wachsen zusammen, weil es für „grüne“ Technologien nicht nur Programmierung, sondern auch Apparate braucht. Das ist unsere Chance, in GreenTech und ClimateTech führend zu werden. Denn in der Ingenieurskunst, da sind wir groß. Durch branchenübergreifende Vernetzung wird es zu einer wahren Flut „grüner“ Lösungen kommen. Hierdurch werden Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen, sogenannte „Green Jobs“, die die Menschen mit Sinn erfüllen.

Eine Gründungswelle nachhaltiger Unternehmen rollt an

Ein Umdenken in Richtung Zirkularität ist in vollem Gange. Und die kritische Masse ist da. Genug junge Menschen wollen nicht nur neue Formen der Arbeit, sie wollen auch eine Welt, in der es sich noch lange gut leben lässt. Und es gibt genug Ältere, die sich gern davon anstecken lassen.

Eine Gründungswelle nachhaltiger Unternehmen, auch Sustainable Gamechanger genannt, rollt durchs Land. Diese werden sich die entscheidenden Vorsprünge sichern, Förderprogramme umfänglich nutzen, sich weltweit vernetzen, an Investorengelder gelangen und von ihrem früh aufgebauten nachhaltigen Wissen profitieren. So entstehen völlig neue Herangehensweisen.

Sustainable Gamechanger versuchen erst gar nicht, Altvorderes aufzupeppen. Gewohntes wird radikal infrage gestellt. Übliche Branchengesetze sind ihnen komplett egal. Sie gehen raus aus dem Elfenbeinturm und auf Tuchfühlung mit den Menschen und ihren Wünschen. So entstehen von Grund auf klimafreundliche, umweltverträgliche Produktvarianten mit überlegenen Eigenschaften in Bezug auf die eingesetzten Materialien, den Ressourcenverbrauch und die Langlebigkeit.

Dies sorgt für ein hohes Marktpotenzial, wodurch sie klassische Anbieter verdrängen. Die steigende Nachfrage in immer breiteren Gesellschaftsschichten führt schließlich zu einem insgesamten Konsumwandel in Richtung Nachhaltigkeit.

Zum Sustainable Gamechanger werden – wie z. B. Candiani

Die Gelegenheit für Vorreiter, sich rund um das Thema Nachhaltigkeit zu profilieren und davon wirtschaftlich zu profitieren, war noch nie so günstig wie heute. Unzählige ambitionierte Unternehmen haben inzwischen damit begonnen, neuartige Technologien zu entwickeln, um von fossiler Energie wegzukommen, CO₂ aus der Atmosphäre und Plastik aus dem Meer zu holen.

Sie stehen für einen auf „grün“ gepolten Gründergeist, der engagierte Menschen überall auf der Welt erfasst. Sie experimentieren mit gänzlich neuen Verfahren, mit bisher übersehenen Substanzen aus der Natur und mit Materialien, die unbedenklich und biologisch abbaubar sind. Längst gibt es für fast alles nachhaltige Alternativen. Sie müssen nur noch weitläufig eingesetzt werden.

Beispielhaft dafür steht das italienische Unternehmen Candiani. Dem Jeansstoff-Hersteller war es vor Jahren gelungen, seine Ware dehnbar zu machen. Die Elastizität kam von einer synthetischen Faser namens Elastan. Doch damit braucht eine Jeans an die hundert Jahre, bis sie auf der Müllkippe verrottet. Als Mikroplastik gerät Elastan über die Abwässer in die Nahrungskette, dann in unsere Körper, sogar in die Muttermilch und den Fötus. Zudem wird Elastan mit giftigen Chemikalien versetzt, um die Strapazierfähigkeit zu erhöhen. Und genau das wurde zum Problem. In der Nähe der Fabrik entstand ein Naturschutzgebiet – mit strengen Umweltauflagen.

„Mein Vater sah in dem Naturpark ein Unglück“, erzählt der Sohn. Er selbst war jedoch überzeugt: „Wenn wir den besten Stretchdenim herstellen, dann müssen wir auch die Besten darin sein, ihn zu erneuern.“ Er suchte nach einem natürlichen, biologisch abbaubaren Stretchmaterial – und fand es beim Metzger im Dorf. Der benutzte für die an der Decke baumelnden Salami Netze aus Naturkautschuk, dem zähen Saft eines Gummibaums. So entstand schließlich COREVA™, der weltweit erste kompostierbare Stretch-Denim-Stoff. Er kann sogar als Biodünger eingesetzt werden.

Mehr Circularity-Beispiele in meinem neuen Buch “Zukunft meistern“.

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