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Transformationsversagen: Wenn man die junge Generation nicht ans Ruder lässt

„Die jungen Leute lassen sich zunehmend schlecht in unsere Arbeitswelt integrieren“, jammern mir oft die Manager vor. „Aber das treiben wir denen schon noch aus.“ Doch genau das wird nicht klappen. Natürlich lassen sich ambitionierte Millennials schlecht in eine traditionelle Arbeitswelt pressen und mit antiquierten Methoden traktieren, warum sollten sie auch?

Dabei könnten vor allem Digital Natives als Helfershelfer für das Neue fungieren. Anstatt also über die jungen Leute zu schimpfen, sie sich gefügig machen zu wollen oder Generationenkonflikte heraufzubeschwören, sollte die Wirtschaft ihre Talente besser zielführend nutzen, um sich mit Tempo fit für die Zukunft zu machen.

Und wie sieht die Wirklichkeit aus?

Kürzlich während einer Expertendiskussion, es ging um das Recruiting von jungen High Potentials: Eine junge Dame im Zuschauerraum erhebt sich und sagt: „Die Anforderungen, die HRler an uns junge Leute stellen, sind ganz enorm: ein abgeschlossenes Studium, beste Noten, Auslandserfahrung, ein breites Wissen, Innovationspotenzial. Wenn wir dann bei euch sind, werden wir als erstes zurechtgestutzt und sollen uns in eure festgefahrenen Abläufe fügen.“ Die Reaktion der Diskutanten? Null.

Beispiel zwei, auf einem Banken-Kongress: Nach meinem Vortrag über Zukunftsfähigkeit entspann sich eine Diskussionsrunde im Plenum. Es meldet sich eine junge Dame: „Ich bin erst ein paar Tage bei einer Bank hier im Raum. Was mir sofort aufgefallen ist: Bei Ihnen dauert alles so unglaublich lange. Zum Beispiel braucht eine Kreditanfrage weit mehr als eine Woche. Da, wo ich herkomme, war ein Kredit in zwei Tagen bewilligt.“

Hallo wach! dachte ich so bei mir. Das müsste doch lebhaftes Interesse auslösen, zumal die Existenz tradierter Banken durch Fintechs längst infrage gestellt wird. Doch Schweigen im Saal. Niemand schien von der jungen Dame lernen zu wollen. Ganz so, als stelle junges, frisches Gedankengut eine Bedrohung für das Selbstverständnis der um Erhalt bemühten etablierten Elite dar. Solche Beispiele gibt es leider in Massen.

Eines hat mein Mitautor Alex T. Steffen [1] in „Fit für die Next Economy [2]“ beigesteuert.

Wie es Melissa in einer Bank ergeht

„Ich empfinde die Arbeit in meiner Bank als eine großartige Berufschance. Ich bin stolz in einer so ambivalenten Umgebung mit meiner Begabung und vor allem auch mit meiner Haltung erfolgreich zu sein”, sagt Melissa. Sie zählt zu den Millennial High Potentials. Seit zwei Jahren arbeitet sie in einer französischen Bank im Human Resources Bereich.

Immer schon steht sie für eine Kultur der Öffnung. Das bringt sie in eine Zwickmühle. Sie möchte sich nicht in einem anonymen Firmenapparat verlieren. Sie wünscht sich Geltung, Mitbestimmung und Fortschritt. Doch in den dortigen Strukturen wird das noch nicht auf allen Ebenen erkannt. Es ist eine wirkliche Herausforderung für Melissa, sich angemessen an die Gegebenheiten anzupassen und gleichzeitig authentisch zu bleiben.

„Unser Geschäftsführer sagt zu den jungen Talenten, dass wir alles tun sollen, um uns nicht an die trägen Abläufe anzupassen. Sonst hätte er uns ja umsonst eingestellt. Es geht ihm wirklich darum, Dynamik in das Unternehmen zu bringen und neue Dinge auszuprobieren. Aber die mittleren Manager versauen den Plan, denn sie haben Zielsetzungen und müssen kurzfristig Resultate liefern”, berichtet Melissa.

Also stehen diese Manager auf Kriegsfuß mit den jungen Mitarbeitern, die mit zahlreichen Änderungswünschen daherkommen. „Obwohl ich wegen meines speziellen Profils eingestellt wurde, wird am Ende von mir erwartet, dass ich mich verstelle und damit den Fortschritt blockiere”, beklagt Melissa.

Wenn Tradition auf Wandel trifft

Mittlerweile ist es zu einem zentralen Teil von Melissas Job geworden, das Ego der Manager in Schach zu halten, damit das Team zu guten Lösungen kommen kann. Doch dadurch fühlen sich die Manager bedroht und finden, dass Melissa sich zu viel herausnimmt, statt sich der Hierarchie zu unterwerfen.

Melissa stellt fest, dass den Managern sehr wohl bewusst ist, dass sich die Dinge verändern müssen, doch sie nehmen Veränderungen nur an, solange sie sich nicht selbst ändern müssen. Sie haben sehr hart gearbeitet, um an ihre Position zu gelangen. Sie pflegen einen Lebensstil, den sie nicht gerne zurückschrauben möchten. Deshalb soll im Job auch alles so bleiben, wie es ist.

“Was ist also der zentrale Punkt, der sich ändern müsste, um eine engere Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Millennials zu ermöglichen”, frage ich Melissa. „Was müssten Manager der älteren Generationen über unsere Generation wissen, um uns wertzuschätzen und als Partner anzuerkennen?“

„Solange sie sich bedroht fühlen, wird sich nichts ändern”, antwortet sie, und ergänzt: “Es ist die Aufgabe der Millennials, die Ängste der Manager in Hoffnung umzuwandeln. Die wenigsten Millennials wollen den klassischen Managern ihre Position streitig machen wollen. Sie wollen Gestaltungsspielraum, um ein erstrebenswertes Arbeitsumfeld und tolle Produkte in einem tollen Unternehmen zu schaffen.

In erlauchten Kreisen nicht erwünscht

Was könnte das Miteinander denn weiter verbessern? „Persönlich bin ich zum Beispiel komplett gegen die Titel-Kultur, die in den Firmen immer noch stark ausgeprägt ist”, sagt Melissa mit Nachdruck. “In unserer Firma wird Dienstalter – aber nur zu einem geringen Teil Leistung – in eine Fülle von Titeln übersetzt. Etwa so: Analyst, Associate, Vice President, Associate Director, Director, General Manager.

Die Mitarbeiter leben für diese Titel. Und dann stellen sie ihre engsten Vertrauten ein, anstatt diejenigen, die am besten für den Job geeignet wären. Zudem sitzen zu strategischen Treffen nur diejenigen zusammen, die die passenden Titel haben, aber nicht die mit der meisten Expertise. Die haben gar keinen Zutritt. Auch das müsste sich ändern.“ Zurzeit plant Melissa einen Workshop zum Thema “wertebasierte Führung”. Das tragische ist, dass junge Mitarbeiter, die die Company in die Zukunft tragen könnten, bei diesem Treffen nicht erwünscht sind.

Bleibt die Old Economy außen vor?

Wenn ambitionierte High Potentials in tradierten Unternehmen nicht den nötigen Handlungsspielraum für zukunftsweisende Aktivitäten bekommen, suchen sie sich ruckzuck einen Arbeitgeber, der ihren Vorstellungen besser gerecht wird. Oder sie wechseln gleich zu denjenigen, die ihre Werte teilen: Millennial-Unternehmen.

Längst fehlt es in analogen Unternehmen an jungen, digitalen Talenten, weil diese dort nicht arbeiten wollen. Die Capgemini-Studie The Digital Talent Gap [3] fand zudem heraus:

Freelancertum als Karrierealternative

Junge Talente werden zum Beispiel auch als Freiberufler aktiv, um verkrusteten Strukturen und Hierarchiegedöns zu entgehen. So wird der Karriereweg Freelancer [4] zunehmend zur Konkurrenz im Arbeitgeberkampf um die digitalen Überflieger.

Oder, besonders gefährlich: Sie werden zu Angreifern der Old Economy. Interessanterweise arbeiten solche Disruptoren gar nicht gezielt auf den Untergang der Old Economy hin. Sie konzentrieren sich nur auf das, was für die Kunden von heute und morgen besser ist als das, was etablierte Unternehmen dem Markt derzeit bieten.

Es ist die Zukunft, die solche Arbeitgeber mit ihrer Abwehrhaltung verspielen. Dabei könnten gerade die jungen Wilden und längst digital Transformierten als Helfershelfer für das Neue fungieren. Wenn man sie nur endlich machen ließe …

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