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AIDA, Sales Funnel und Buying Cycle: Kommunikationsmodelle von vorvorgestern

Silos und die damit verbundene Kanaldenke [1] – darum ging es im vorletzten Beitrag hier im Blog – sind schon gefährlich genug. Noch gefährlicher ist es aber für diejenigen, die mit Kommunikationsmodellen, die das Kundenverhalten von vorvorgestern erklären, in die Zukunft wollen.

Allen voran nenne ich hier die AIDA-Formel, die immer noch durch die Marketingliteratur geistert – und in manchen BWL-Fakultäten nach wie vor prüfungsrelevant ist. Sie geht zurück auf den Verkaufsstrategen Elmo Lewis, der diese erstmals 1898 (!) für die Verkäufermärkte von damals beschrieb.

AIDA ist ein Akronym. Es steht für die englischen Begriffe Attention (Aufmerksamkeit), Interest (Interesse), Desire (Verlangen) und Action (Handlung). Zwei Gefahren birgt dieses Modell: Erstens beginnt ein Kauf nicht mit Aufmerksamkeit. Zweitens ist alles, was nach einer Kaufentscheidung passiert, bei AIDA nicht existent.

Vor der Aufmerksamkeit steht das Bedürfnis

Längst ist bekannt, dass erst ein inneres Verlangen (Need) für Aufmerksamkeit sorgt beziehungsweise diese in bestimmte Richtungen lenkt. Wünscht sich eine Frau zum Beispiel ein Baby, fallen ihr ständig werdende Mütter, Kleinkinder und passende Produkte auf. Bevor sich dieser Wunsch jedoch manifestierte, ging sie mehr oder weniger achtlos an solchen Reizen vorbei.

Vom Stadtbummel her kennt man das auch: Erst wenn wir Hunger verspüren, fallen uns plötzlich alle möglichen Fressplätze auf. Oder denken wir an einen Flirt: Wer frisch verliebt ist, ist für die Reize anderer immun. Soll Werbung fruchten, braucht sie also zunächst ein Motiv, das wieder ins Gleichgewicht will. Sonst verpufft sie wirkungslos und ungesehen, weil sie aus Sicht des Gehirns irrelevant ist.

Gießkannenprinzip? Ohne Motiv keine Wirkung!

Wer wie die altvorderen Werber immer noch glaubt, Aufmerksamkeit stünde an erster Stelle, wird vor allem laut trommeln und nach dem Gießkannenprinzip alles über alle ausgießen. Heißt: Man macht alle nass, um am Ende zu schauen, wer sich darüber freut. Leider ist dieses Vorgehen nach wie vor üblich.

Im Vertrieb ist es nicht besser. Bei Verkaufspräsentationen geht das gern eine halbe Stunde lang so: Wir sind … Wir haben … Wir können … Wir bieten … ! Mit anderen Worten: Ein Interessent muss erst den kompletten Bauchladen über sich ergehen lassen, bevor man sich (hoffentlich) damit befasst, wo es bei ihm brennt.

Wer an den einzelnen Touchpoints wirksam kommunizieren will, braucht Anschlussfähigkeit und Relevanz. Rücken Sie also nicht Ihr Angebot nach vorn, sondern den Bedarf der Menschen. Und reden Sie nicht über eigene Leistungsmerkmale, sondern über das, was diese beim Kunden bewirken. Niemand interessiert sich für die Zusammensetzung eines Parfums. Aber wir wollen alle gut riechen.

„Wir über uns“ ist noch immer allgegenwärtig

Auch auf vielen Websites wird deutlich, wie akut Umdenken ist. „Wir über uns“ steht da auch heute noch sehr oft zu lesen. Was dann folgt, ist Hochglanzgeschwätz und kunterbunt angemalte Luft. Auch die Navigationspunkte „Unsere Produkte“ und „Unser Team“ zeugen von Egodenke. Wären „Wir für Sie“ und „Ihr Nutzen“ und „Ihre Ansprechpartner“ nicht schon mal ein Start?

Und sollten anstelle der Selbstbeweihräucherung nicht besser gerade auf der Website die Kunden davon erzählen, wie positiv ihre Erfahrungen sind? Nur so ist Glaubwürdigkeit garantiert. Solche Änderungen wären jedenfalls ein erster Schritt. Einige Anbieter haben ihre Website schon komplett in Richtung Kundennutzen umfunktioniert. Und sie sind sehr erfolgreich damit.

Sales Funnel und Buying Cycle: längst überholt

Empfehlungen, Kundenbewertungen und Erfahrungsberichte stehen zunehmend am Anfang und am Ende eines Kaufprozesses, das habe ich hier im Blog schon vielfach betont. Im Touchpoint Management beginnt und endet der Kaufkreislauf eines Kunden also mit WOM, Word of Mouth, das sind Mundpropaganda und Weiterempfehlungen. Übliche Kaufmodelle wie der Buying Cycle oder der Sales Funnel tun dies nicht.

Der klassische Buying Cycle geht zwar von der Kundensicht aus, berücksichtigt aber nur die vier Phasen Aufmerksamkeit, Evaluierung, Kauf und Nutzung. Das im Vertrieb übliche Modell des Sales Funnels verharrt sogar komplett in der Anbietersicht: Es betrachtet nur die Phasen Interessentengewinnung, Angebotserstellung, Abschluss. So ist es dann kein Wunder, das in vielen Firmen die Kundenpflege an die zweite Stelle rückt.

Kunden und Mitarbeiter zweiter Klasse

Paradoxerweise zieht sich die Vernachlässigung der Bestandskunden als Kunden zweiter Klasse wie auch die parallel verlaufende Vernachlässigung ihrer Betreuer als Verkaufsmitarbeiter zweiter Klasse wie ein roter Faden durch die Managementdenke der letzten Jahrzehnte.

Natürlich sind Neukunden wichtig, aber nur, wenn man sie nicht auf Kosten seiner Bestandskunden gewinnt. Stabile, dauerhafte Kundenbeziehungen sind die Lebensversicherung eines Unternehmens. Doch regelmäßig sieht man als Stammkunde fassungslos zu, wie Neukunden die ganzen Goodies erhalten.

Kostspielige Software-Lizenzen, längst überteuerte Handytarife und hohe Versicherungsprämien sind weiter zu zahlen, obwohl sie im Neugeschäft schon lange deutlich günstiger sind. Wer allerdings seine Bestandskunden vernachlässigt, der wird sie erstens verlieren, und zweitens auch keine Empfehlungen erhalten. Treue allein genügt nicht. Man muss seine Kunden bis zum Empfehler weiterentwickeln.

An die B- oder C-Mannschaft weiterverfrachtet

Während sich also die Neukundenjäger nach ihren Abschlüssen wie die Helden feiern und prämieren lassen, wird der Neukunde, der bisher nur Geld gekostet hat, an die B-Mannschaft weiterverfrachtet: an den Innendienst, der schlechter bezahlt, schlechter ausgebildet und – nicht selten vom Außendienst herumkommandiert – im Backoffice (Hinterzimmer!) haust.

Dies mit dem Ziel, aus Bestandskunden nun Cashcows (Melkkühe!) zu machen. So werden Kunden tatsächlich in vielen Firmen noch immer genannt – und genau so werden sie dann auch behandelt. Nur: Die Strategie „Wir hoffen, die merken das nicht“ funktioniert heute nicht mehr. Niemand lässt sich noch länger für blöd verkaufen. Und im Web spricht sich all das zügig herum.

Nicht selten werden neue Kunden nach Vertragsunterschrift zwecks Bestandskundenpflege gleich an eine C-Mannschaft abgeschoben. Heißt: Die, mit denen man jetzt endlich Geld verdient, werden noch nicht mal mehr von eigenen Mitarbeitern betreut! Sondern von solchen, die in externen Callcentern jobben, also dort, wo Informationsstand, Wertschätzung und Bezahlung niedrig sind, Frustration und Fluktuation aber hoch.

Wie man es besser macht? Darüber im nächsten Blogbeitrag mehr.

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