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#Trends2017 (3/3): Das Management und die Erschütterung der Macht

Die Digitalisierung schaltet gerade den Turbo ein. Die Umbrüche in der Arbeitswelt sind dabei kolossal. Doch in klassischen Unternehmen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Verstaubte Managementmoden, Topdown-Organigramme, Silostrukturen, Command & Control-Mechanismen, Hierarchiegehabe, tradierte Karrierewege, eine antiquierte Führungskultur und anderes Uraltzeugs sind der Beleg.

Disruptive Zeiten hingegen erzeugen nicht nur Rasanz, sondern auch permanente Vorläufigkeit. Alles steht ständig zur Disposition. Das bedeutet: Ein Unternehmen muss sich zunächst drinnen verändern, damit es draußen am Markt überleben kann. Neue Organisationsstrukturen sind unabdingbar. Hierarchien müssen zurückgebaut werden und Karrierewege anders verlaufen. Die Mitarbeiterführung wandelt sich fundamental. Möglichmacher werden in Zukunft gebraucht.

Der Chef als Ansager und Aufpasser ist ein Auslaufmodell, weil Software das in Zukunft erledigt. Zudem können die Oberen heutzutage nicht einmal ahnen, wohin der richtige Weg führt. „Ihre neue Aufgabe ist es, das Finden von Antworten zu organisieren“, bekräftigt Christoph Keese in seinem Buch Silicon Germany.

Selbstorganisation statt Command & Control

Die Menschen sehnen sich danach, in einer anderen Arbeits- und Führungskultur als der gestrigen tätig zu sein. Für die Herausforderungen, die die Zukunft bringt, ist Command & Control auch nicht mehr geeignet. Denn zentrale Steuerung funktioniert nicht in komplexen Systemen. Und wenn anweisungsbasierte Topdown-Formationen auf vernetzte Organisationen treffen, wird es langfristig für erstere eng.

Sich dezentralisierende Organisationen sind vonnöten und sich selbst steuernde Teams werden von nun an gebraucht. Agil und kollaborativ müssen sie sein. Das bedeutet: So viel Selbstorganisation wie möglich mit nur so viel zentraler Steuerung wie unbedingt nötig.

Entscheidungen und die Verantwortung dafür verbleiben im Team. Die Führung achtet vor allem darauf, dass nichts Operatives zu ihr zurückdelegiert wird. Nur noch in Ausnahmefällen und im strategischen Kontext greift sie direktiv ein. Ansonsten ist sie vor allem fördernd tätig. Sie sorgt für ein angenehmes Arbeitsumfeld, für perfekte Rahmenbedingungen und für umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten.

Erprobungsphasen sind überaus wichtig, damit sich sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter in die neue, noch ungewohnte Situation einüben können. Eine fehleroffene, sanktionsfreie Lernkultur begleitet den Weg. Etappensiege werden gefeiert. Keinesfalls darf das Pendel zu abrupt oder zu radikal in Richtung Hierarchiefreiheit schlagen, weil das die Menschen überfordert. Man muss üben, um zu brillieren.

Kletterwand- statt Leiterkarrieren

Bislang waren Karrierewege meist vorgezeichnet: Auf einer Stufe um Stufe zu erklimmenden Karriereleiter ging es voran. Das Prinzip, so paradox es auch klingt: Gute Leistungen werden zwangsläufig mit einer Führungsaufgabe belohnt. Ob fähig oder unfähig dazu? Egal! Man ist einfach „dran“. Doch nicht jeder gute Fachmann ist gleichzeitig auch eine gute Führungskraft. Das Ergebnis, so Gallup: „People join companies but they leave managers.“

In neuen Zeiten wird auch der Begriff des Karrierewegs neu definiert. Rollenflexibilität und Kletterwand-Karrieren werden in den Unternehmen Einzug halten. Mal ist jemand Führungskraft eines Teams, mal Leiter eines Projekts, mal Verantwortlicher eines Prozesses, mal agiert er ohne Führungsaufgaben in einem Expertenteam.

Wird eine Führungsrolle abgegeben, ist das weder mit Gesichtsverlust noch mit Demontage verbunden – und kein Rückschritt, sondern eine Seitwärtsbewegung. Fach- und Führungskarrieren werden gleichgesetzt. Laufbahnen gehen nicht länger wie auf einer Leiter nach oben, was bei einem Fehltritt mit einem jähen, oft würdelosen Absturz verbunden sein kann.

Ohne Schande kann man in die Fachexpertise wechseln. Dies ist schon allein deshalb höchst sinnvoll, weil Spitzenfachleute immer dringender benötigt werden. Die Führungskarriere gilt nicht länger als der bessere Weg. Sie sollte ausschließlich den Menschenexperten vorbehalten sein. Den anderen ist die Führungslizenz sofort zu entziehen. Statt Zwangsaufstieg ermöglicht man guten Fachspezialisten besser Herausforderungen in der Breite der Unternehmenslandschaft.

#minus50 statt Monsterbürokratie

Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. Von daher ist mehr Schnelligkeit dringend vonnöten. Alles, was eine Organisation langsam macht, muss schleunigst weg. Um das schaffen zu können, muss vehement umgebaut werden. Mit Werkzeugen von gestern ist die Zukunft nicht zu packen.

Denn klassische Managementformationen sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren, anstatt sich ums Geschäft und die Kunden zu kümmern. Prozessbesessenheit, Zielfetischismus und verkrampfte Regelwerke sind eine kolossale Verschwendung von Zeit, Geld, Engagement und Talenten, die sich niemand mehr leisten kann.

Bürokratie macht ein Unternehmen langsam und dumm, weil alles einem vordefinierten Weg folgen muss und in starren Verfahrensweisen versinkt. Standards erzeugen zudem Isomorphie: Alles gleicht sich immer mehr an. Doch nur das Besondere, Faszinierende, Bemerkenswerte hat eine Zukunft. Bei Vergleichbarem hingegen entscheidet am Markt der Preis. Dann soll es wenigstens billig sein.

Im Eilschritt die Zukunft erreichen heißt also zuallererst: rigide Strukturen lockern, Altlasten entsorgen und Hürden entfernen, um flotter laufen zu können. Alles Unkraut, das die jungen Triebe am Wachsen hindert, muss weg. 50 Prozent weniger Bürokratie, Administration, Hierarchie, Regelwerke, Reportings und Planungsmanie sind dabei eine vernünftige Zielzahl. #minus50 heißt dieses Programm, das zukunftsfit macht.

Empfehlenswerte Bücher zum Thema

Frederic Laloux hat mit „Reinventing Organizations“ ein Grundlagenbuch für die moderne Organisationsentwicklung verfasst. Es beschreibt, wie sich Unternehmen selbstorganisiert aufstellen können und beleuchtet dabei auch eine Reihe von Vorreiterorganisationen. Das Buch hat weltweit Beachtung gefunden.

Hermann Arnold wurde bekannt als Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer des Software-Anbieters Haufe-umantis. Gemeinsam mit seinen Kollegen erprobt er dort Ansätze wie Vorgesetztenwahlen und Unternehmensdemokratie. In seinem Buch „Wir sind Chef“ beschreibt er die entsprechenden Vorgehensweisen detailliert und praxisnah. Auch der von ihm mitentwickelte Haufe-Quadrant wird ausführlich dargestellt.

Ein Zusatzhinweis: In meinem Buch Das Touchpoint-Unternehmen – Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt [1]habe ich jede Menge zum Thema geschrieben, vor allem mit Blick auf eine zeitgemäße Mitarbeiterführung. Es wurde zum Managementbuch des Jahres gekürt.

Nachtrag: Im Frühjahr 2017 ist mein neues Buch zum Thema erschienen, dass ich mit dem Jungautor Alex T. Steffen gemeinsam geschrieben habe: Fit für die Next Economy – Zukunftsfähig mit den Digital Natives [2].

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