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Touchpoint Management und Customer Obsession: Was ist daran eigentlich neu?

Kundenkaufprozess nach Anne M. Schüller

Das Touchpoint Management folgt nicht dem selbstzentrierten alten Marketing, das fragt nämlich so: „Was bieten wir dem Markt und den Kunden wann über welche Kanäle [1] an, damit wir noch erfolgreicher werden?“

Das Touchpoint Management hingegen fragt so: “Was will/braucht/begehrt der Kunde von heute und morgen, und wie können wir helfen, ihn glücklich respektive erfolgreich zu machen?” Ausgangspunkt im Touchpoint Management ist also die Perspektive des Kunden. Untersucht wird von daher, was die Kunden tatsächlich erwarten, welche Leistungen sie auf welche Weise an den für sie relevanten Touchpoints erhalten und wie ihre Meinung dazu beziehungsweise ihre Reaktion darauf ist.

Schnell wird dabei deutlich, welche Touchpoints aus Kundensicht fehlen, welche sehr relevant und welche völlig irrelevant sind. Vorhandene Touchpoints können optimiert und veraltete über Bord geworfen werden. Unnötige Touchpoints lassen sich ausschließen, ignorieren oder deaktivieren. So kann man auch kräftig Kosten sparen.

Durch eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit können digitale und nichtdigitale Touchpoints zudem besser kombiniert werden. Denn der vernetzte Kunde erwartet, dass ein Unternehmen ebenfalls vernetzt, synchronisiert und wie aus einem Guss agiert. Tut es das nicht, ist die Beziehung schnell aus.

Drei Beispiele aus der Praxis

Ein Unternehmen schickte den Kunden nach ihren Onlinebestellungen in den Paketen immer die gleichen Standardflyer mit. Nun ging man dazu über, für die Kunden individuelle Flyer zu erstellen. Diese enthielten zum Beispiel Angebote, die sie sich angesehen, aber nicht gekauft hatten. Oder solche, die aufgrund der Kaufhistorie auf Interesse stoßen könnten. Diese Flyer wurden direkt an der Packstation ausgedruckt.

In einem zweiten Fall fand man heraus, dass per Telefonverkauf zwar mehr Umsatz generiert wurde als über den Shop, dafür die Zahl der Retouren jedoch höher lag. So wurde klar, dass Geschäfte von Verkäufern, die Produkte zu offensiv anbieten, weil sie dafür Prämien erhalten, eher zu einer Rückgabe führen. Die Änderung dieser Verkaufsstrategie brachte aufgrund gesunkener Retouren deutliche Einsparungen.

Bei einer Versicherungsgesellschaft kam heraus, dass von den 120 existierenden Broschüren lediglich 18 in der täglichen Arbeit der Makler eingesetzt wurden, wie Universitätsprofessor Franz-Rudolf Esch in der Zeitschrift Markenartikel berichtet. Mein Tipp am Rande: Legen Sie für die aussortierten Touchpoints eine separate Liste an, und überprüfen Sie von Zeit zu Zeit, ob Ihre Entscheidung, diese zu ignorieren, aus Kundensicht immer noch richtig ist.

Werbemitteleinsatz optimieren

Marketingbudgets sollen dort eingesetzt werden, wo die Kunden tatsächlich ihre Zeit verbringen, Kaufvorbereitungen treffen und kaufen. Wer stattdessen in Kanäle hineininvestiert, allokiert silogesteuert oft in die falsche Richtung. Die wichtigsten Kaufanreize entstehen heutzutage ja nicht durch klassische Werbung, sondern durch Offline- und Onlineempfehlungen Dritter.

Demzufolge müssen die Ressourcen vor allem dorthin geleitet werden, wo Mundpropaganda und Weiterempfehlungen intensiviert werden können. Deshalb sind solche Berührungspunkte zu favorisieren, die das Habenwollen, die Reputation, die Kundenloyalität und die Empfehlungsbereitschaft am nachhaltigsten stärken. Diese werden als Supertouchpoints bezeichnet.

Eine Obsession für Kundenbelange ist bei alldem ein Muss. Zudem kooperiert man mit seinen Kunden und bindet sie aktiv in die Abläufe ein. Man macht sie also zu Mitwissern und Mitgestaltern, wo es nur geht. Dies senkt nicht nur das unternehmerische Risiko, sondern baut zusätzliche Eintrittsbarrieren für den Wettbewerb auf.

Denn wenn man Menschen zeigt, dass man sich für ihre Meinung wirklich interessiert, und wenn man ihnen Mitwirkungsmöglichkeiten gibt, verändert sich deren Haltung positiv. Dies sorgt nicht nur fürs Drüberreden, es macht auch die Geldbörse locker. Zudem entsteht der „Mein-Baby-Effekt“. Und sein Baby lässt man bekanntlich nicht im Stich.

Selbst- oder kundenzentriert?

Das Touchpoint-Management verfolgt demnach einen tatsächlich kundenzentrierten Weg. Die in den meisten Unternehmen übliche Vorgehensweise hingegen ist selbstfokussiert. Mit bösen Folgen. Blind und taub für die heutigen Kundenbelange, glauben die Oberen nämlich ernsthaft, schon ganz schön weit zu sein.

Dabei verschanzen sie sich in Elfenbeintürmen, die sie so hoch gebaut haben, dass Kundenstimmen sie niemals erreichen. So klaffen Selbstbild und Fremdbild weit auseinander. Einer Studie von Bain & Company zufolge meinen 80 Prozent aller Unternehmen, ein herausragendes Kundenerlebnis zu bieten, aber nur 8 Prozent ihrer Kunden stimmen dem zu.

Und bei einer Edelman-Brandshare-Untersuchung kam heraus, dass sich 87 Prozent der Befragten wünschen, stärker an der Markenwelt teilzuhaben, während nur 7 Prozent meinen, dass die Unternehmen dazu hinreichende Möglichkeiten bieten. Kundenintegration bedeutet eben immer auch Kontrollverlust. Und Kontrollverlust bedeutet Machtverlust. Welcher Manager will das denn schon?

In zwei Geschwindigkeiten unterwegs

Zudem sind die Unternehmen oft genug in zwei Geschwindigkeiten am Markt unterwegs. Die Zielgruppe hat schon entsprechende Infos über die Fachpresse erhalten, der eigene Vertrieb aber noch nicht. Über den neuen Werbespot, der bereits durchs Fernsehen geistert, wurden die Mitarbeiter nicht einmal informiert.

Solche Unkoordiniertheit gibt es natürlich auch intern. Über ein und denselben Kunden existieren an mehrere Stellen verschiedene Daten. Oder gar keine. Im Shop hat der Kunde ausdrücklich gesagt, dass er nicht angerufen werden will. Doch im Callcenter weiß man darüber nicht Bescheid. So was provoziert Ärger.

Und ständig stolpern Kunden über Links, die ins Leere führen, weil es die Produkte, die auf der Website angepriesen werden, längst nicht mehr gibt. Solche Peinlichkeiten haben mit Silodenke, Insellösungen und der mangelnden Kommunikation zwischen den Abteilungen zu tun.

Nicht mit- sondern gegeneinander

In vielen Unternehmen arbeiten die einzelnen Abteilungen auch gar nicht miteinander, sondern gegeneinander. Konfrontation statt Kooperation heißt dort der Kurs. Wir sind die Guten, die sind die Bösen, ist dann das Motto. „Die“ im Marketing machen bloß bunte Bildchen. Draußen beim Kunden waren die nie.

Und „die“ im Aftersales vergeigen all die tollen Aufträge, die wir im Vertrieb unter Mühen hereingeholt haben, weil die derart stümperhaft rumarbeiten, dass die Kunden gleich wieder flüchten. In der Auftragsabwicklung gerät man unterdessen in die Bredouille, weil der Vertrieb unhaltbare Versprechen macht, um seine Umsatzzahlen zu schaffen. Durch falsch aufgesetzte Bonussysteme werden solche Grabenkriege auch noch befeuert.

Bei einem Gerätebauer war es zum Beispiel so, dass für die Produktion der bestellten Teile im Durchschnitt drei Wochen benötigt wurden. Doch der Außendienst bot auch schon mal zwei Wochen an, um im Rennen um einen Auftrag nicht das Nachsehen zu haben. Und dies ist beileibe kein Einzelfall. Anstatt jedoch endlich für Klärung zu sorgen und gemeinsam gangbare Wege zu finden, schiebt man sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe.

Mal miteinander reden, damit aus Unverständnis Annäherung wird? Nö. Die ganze Kommunikation läuft über E-Mails mit möglichst vielen Leuten in CC, um die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Alles auf dem Rücken des Kunden. Doch egal. Schließlich tut es gut, sich selbst zu feiern, die anderen abzuwerten und auf die Jagd nach internen Sündenböcken zu gehen. Wer will da schon was ändern? Wenn, dann sollen sich gefälligst die anderen ändern, aber doch wohl bitte nicht wir!!!

Ein Touchpoint Management, das den Kunden auf seiner möglichst reibungslosen „Reise“ durch die Unternehmenslandschaft begleitet, ist also dringend vonnöten. Mehr dazu im nächsten Beitrag.

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