- Touchpoint Blog Anne M. Schüller - https://blog.anneschueller.de -

Die Digitalisierung zündet gerade den Turbo. Doch auch das Menschliche bleibt.

Ja, die Digitalisierung schaltet gerade den Turbo ein. Und das betrifft ausnahmslos jeden Unternehmensbereich. Auch, wenn das für viele Anbieter noch Neuland ist, für die Kunden ist es bald das, was sie unabdingbar erwarten. Das heißt, sie löst höchstens Zufriedenheit aus, weil sie quasi ein Pflichtprogramm ist.

Fette Geldscheine winken aber vor allem in der Begeisterungszone, also da, wo es Einfühlungsvermögen, Hingabe und Leidenschaft für die Belange der Kunden gibt. Wo aber Technokraten agieren, besteht die Gefahr, dass sich alles um Systeme, Prozesse und Daten sowie ums Analysieren, Monitoren und Messen dreht. Die Menschlichkeit in der Kundenbeziehung bleibt dabei oft auf der Strecke.

Doch ohne Menschlichkeit wären wir nur Maschinen. Um also in den Begeisterungsbereich vorzustoßen, wird genau diese gebraucht. Sie äußert sich in Emotionalität, in Nützlichkeit und in Sinnlichkeit. Sie zeigt der kalten Technik ein heiteres Gesicht. Sie sorgt für Reputation, für Identifikation, für Loyalität und für Empfehlungsbereitschaft – und damit auch für neue Kunden.

Die digitale Uhr tickt – mit einem Sekundenzeiger auf Speed

Dennoch kommt man um die Digitalisierung nicht mehr herum. Denn solange die Basisfaktoren nicht stimmen, braucht man sich an Begeisterungselemente gar nicht heranzumachen. Die wirken dann nämlich nicht. Ganz im Gegenteil. Manche kann zum Beispiel überfreundliche Ahnungslosigkeit derart wütend machen, dass ihnen die Dampfwölkchen aus den Ohren qualmen.

Deshalb muss zunächst die Basis stimmen. Und diese heißt ab sofort: Professionalität in digitalen Belangen. Viel Zeit bleibt auch nicht. Denn die digitale Uhr tickt. Doch deren Sekundenzeiger jagt wie auf Speed immer schneller voran. Zögerliche Anbieter werden das nicht überleben. Bei vielen flimmert es schon. Ganz sicher werden diejenigen kollabieren, die „dieses Digitale“ mit einem Kopfschütteln quittieren. Digital aufzurüsten – und eine geeignete Rechtslandschaft dafür zu schaffen – ist ein unumgängliches Muss.

Alles wird digitaler – und zugleich menschlicher und emotionaler

Ja, alles wird digitaler, doch auch das Physische bleibt. Es wird sogar wieder erstarken, weil wir eben nicht aus Bits und Bytes, sondern aus Atomen und Neuronen bestehen. „Die digitale Transformation wird die persönlichen Beziehungen niemals ersetzen“, sagt der global tätige Futurist Gerd Leonhard.

Viel anfänglich Begeisterndes aus dem digitalen Paralleluniversum gehört für uns User inzwischen schon so sehr zum Alltag, dass es wie selbstverständlich in den Hintergrund rückt. Lebensqualität schiebt sich fröhlich nach vorn. Und dabei wird, je nach Lust und Laune, Offline mit Online in Echtzeit gemixt.

Nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“ ist demnach das Thema. So werden zwar Händler sterben, doch nicht der stationäre Handel an sich. Onlinebasierte Bezahlsysteme werden Bankfilialen nicht komplett verdrängen, Airbnb nicht allen Hotels den Garaus machen und Uber nicht alle Taxis von der Straße vertreiben. Doch diejenigen, die ihre Offline-Welt nicht ausreichend schnell mit Online-Sphären verknüpfen, werden die Zukunft wohl nicht erreichen.

Die wahren Feinde rüsten sich nicht analog – sondern digital

Auch die, die vornehmlich ihre alten, analogen Feindbilder jagen, werden kaum überleben. Denn der wahre Feind lauert in ganz anderen Ecken. Den womöglich gefährlichsten Satz in seinem Berufsleben hat Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, im Frühjahr 2015 gesagt: “Wir haben schließlich das Auto erfunden.” Dies war seine Reaktion auf damalige Gerüchte, Apple werde in das Automobilgeschäft einsteigen.

Doch während sich viele Unternehmen, so wie Daimler, auf den konventionellen Wettbewerb fokussieren, gehen Angreifer von außerhalb der Branche wie aus dem Nichts an den Start. Und sie reisen mit leichtem Gepäck in die Zukunft, denn sie wissen: Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver.

So ist der Onlinehandel nicht von einem stationären Händler, das internetbasierte Bezahlen nicht von einer Bank und iTunes nicht von der Musikindustrie erfunden worden. Tja, und die traditionelle Uhrenindustrie hat es auf einmal mit Mobiltelefonanbietern als Hauptkonkurrenten zu tun.

Die digitale Bohème hat längst eine Parallelwelt erschaffen

Die digitale Gefahr kann heute fast jeden treffen. „Welche Branche hacken wir denn diese Woche?“ So lautet der weltweite Schlachtruf der digitalen Bohème. Deshalb werden die wichtigen Neuerungen der Zukunft nicht von etablierten Marktplayern kommen, sondern aus der agilen Gründerszene. Suchend, Fehler machend und fröhlich findend läuft sie den Etablierten davon.

Längst hat sie eine Parallelwelt aus neuen Geschäfts-, Organisations- und Finanzierungsmodellen geschaffen. Niemand ist vor ihnen sicher, die Banken nicht, Versicherungen nicht, der Handel sowieso nicht, Energieversorger nicht, die Automobilindustrie nicht, Logistiker nicht, das Bildungs- und Gesundheitswesen nicht, und die digitalen Brüder und Schwestern schon gar nicht.

Aus vernetzten Start-up-Schmieden und von wagemutigen Jungunternehmern kommen Ideen, die die Welt mit Karacho verändern. Gegen ihr schlankes, flottes Vorgehen haben die aufgeblähten Old-School-Apparatschiks mit ihrer Absicherungsmentalität, ihren langatmigen Expertenrunden und ihren behäbigen Entscheidungsprozessen nicht den Hauch einer Chance.

Game Changer, Growth Hacker, Internetkrieger und Disruptoren

Schöpferische Zerstörung, ein Bild, das der Makroökonom Joseph Schumpeter schon 1942 in die Welt gesetzt hat, treibt die jungen Gründer wie magisch voran. Vor allem disruptiv muss es sein. Diesen Begriff hat 1997 der Harvard-Professor Clayton M. Christensen in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ geprägt.

So hocken Horden von Digital Natives vor ihren Bildschirmen und hauen hoffnungsvoll in die Tasten. Ihre Schlagzahl ist unglaublich hoch. Heraus kommen Innovationen, die klassische Produkte und Technologien nicht weiterentwickeln, sondern radikal verdrängen können und sollen. Der versierte Umgang mit Online-Medien und das Meistern von Bits und Bytes, den Grundbausteinen der digitalen Welt, ist ihr wichtigstes Kapital.

Respektlos, furchtlos und frech machen sie vor niemandem halt. Sie sind angriffslustig. Sie lechzen nach Erfolg. Und sie sind siegesgewiss. Game Changer, Growth Hacker und Internetkrieger nennen sie sich. Oder auch Disruptoren – was sich auf Raptoren reimt, das sind diese aggressiven, aber gleichzeitig auch ziemlich smarten Biester aus dem Jurassic Park.

(Dies sind Passagen aus meinem neuen Buch Touch.Point.Sieg. Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation [1].)

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