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Co-Kreieren: Der Kunde als Schöpfer

Im Kundenkreis schlummert die größte Innovationsreserve. Und sie wird von den Unternehmen immer noch viel zu selten angezapft. Vorausschauende Anbieter hingegen nutzen das Kreativpotenzial Externer längst, wo es nur geht. Ein Stichwort dazu? Es heißt: Crowdsourcing.

Beim Crowdsourcing (Jeff Howe) geht es um die Inanspruchnahme von Intelligenz, Kreativität und Arbeitskraft externer Dritter. Sie generieren Inhalte, lösen Aufgaben oder sind an Forschungs- und Entwicklungsprojekten beteiligt. Hierdurch werden nicht nur neue Ideen generiert, das Mitmachen steigert auch die Verbundenheit zum Anbieter und sorgt so für den loyalisierenden ‚Mein-Baby-Effekt’.

Jeder fünfte User mag sich übrigens gerne einspannen lassen, wie eine Bitkom-Studie schon in 2010 herausgefunden hat. Die entscheidende Frage dabei lautet wie folgt: Wie können wir aus (potenziellen) Kunden Mitgestalter und Produktoptimierer machen? Und zwar so, dass es

a) einfach, glaubwürdig und nachvollziehbar ist,
b) gut zu uns und zur Marke passt und
c) nicht nur wie Pseudo wirkt, sondern wirklich was bringt?

Sind die Ziele geklärt, werden ausgewählte Zielgruppen über die unterschiedlichsten Kanäle dazu aufgerufen, ihre Vorschläge in Form von mündlichen oder schriftlichen Beiträgen als Video, Audio, Foto oder auf eine andere Art und Weise einzureichen. Meist ermittelt die Community über öffentlich sichtbare Abstimmungen den schließlichen Gewinner. Anschließend wird die Aktion passend umgesetzt – und im Idealfall öffentlich darüber berichtet.

Beispiele gibt es genug

Es gibt eine unglaubliche Fülle von Geschichten, die über erfolgreiche Crowdsourcing-Projekte kursieren. So suchte der Outdoor-Spezialist Mammut Ideen, wie er sein 150-Jahr-Jubiläum begehen könnte. Insgesamt 171 Externe beteiligten sich an der Aktion. Dabei kamen 292 Ideen zusammen. Der Schweizer Einzelhandelsriese Migros hat mithilfe seiner Kunden unter anderem die sehr erfolgreichen Marmeladensorten Erdbeermund und Herbstsünde entwickelt.

Mc Donald’s hat für seine Crowdsourcing-Aktion ‚Mein Burger‘, bei der über 116.000 Kreationen eingereicht wurden, über 1,5 Mio User gevoted haben und fünf Burger tatsächlich auf die Speisekarte kamen, gerade einen Effie-Award in Gold bekommen. Der Effie ist eine der begehrtesten Auszeichnungen der Werbewirtschaft und misst die Effizienz einer Kampagne.

Die Deutsche Telekom konnte für ihre Million-Voices-Aktion [1] (unbedingt anschauen, ist toll gemacht) eine Vielzahl von Online- und Offline-Kanälen einbinden. Hierzu wurde Thomas D, ein Bandmitglied der ‚Fantastischen Vier‘ gewonnen. Er spielte den Welthit ‚7 Seconds‘ neu ein, indem er hochgeladene Audio- und Videosequenzen von über 11.000 Personen mit eigenen Interpretationen mischte.

Ein Klassiker: Blowfly Beer

Eines der ersten weltweit bekannt gewordenen Crowdsourcing-Projekte stammt aus Australien. Dort entstand eine neue Biermarke zu 100 Prozent durch das Zutun von Dritten: Blowfly Beer. Die Gründer waren keine Bierbrauer und hatten keinerlei Insiderwissen über den dortigen Biermarkt, den sich zwei nationale Marken teilten. Sie entschieden sich, alles anders zu machen, als es Brauereien klassischerweise tun.

So ließen sie alle, die Lust dazu hatten, in Internet über den Namen, die Geschmacksrichtungen, das Logo, den Flaschentyp, den Preis, die Bierkästen, die Verkaufsstellen und die Location für die Eröffnungsparty abstimmen. Wer mitmachte, bekam zum Dank Brewtopia-Aktien und wurde hierdurch zum Miteigentümer. „Das Bier hatte 16.000 Markenbotschafter, bevor es überhaupt zu kaufen war”, erzählte der Vorstandsvorsitzende Liam Mulhall.

Auch nach dem Start passierte das meiste in Zusammenarbeit mit den Fans. So wurde das Bier nicht früh am Morgen durch die Hintertür angeliefert, sondern dann, wenn die Bars voll waren, immer durch den Haupteingang und über den Bar-Tresen hinweg. Das Ganze ging mit viel Hallo vonstatten, denn die Lieferwagen sahen aus wie Ambulanzfahrzeuge und waren mit Sirenen bestückt. So wird nicht nur die Verbundenheit optimiert, Mundpropaganda ist quasi garantiert.

Ein Positiv-Beispiel: Ritter Sport

Unter dem Titel ‚Die Blog-Schokolade‘ hat Ritter Sport im Rahmen eines Crowdsourcing-Projekts eine neue Schokoladensorte entwickeln lassen, und das mit großem Erfolg. Von der Sortenidee über den Namen bis hin zur Verpackung konnten die Verbraucher mitentscheiden. Über 900 Sorten und mehr als 350 Entwürfe für das Packungsdesign wurden eingereicht. Tausende von Fans haben für ihre favorisierte Sorte abgestimmt.

Am Ende hat die Cookies & Cream gewonnen. Sie hatte schon zigtausend Botschafter, bevor sie überhaupt zu kaufen war. Der Wortlaut der Aufgabenstellung klang bei dieser Aktion so: „Wir suchen nicht die witzigste oder verrückteste Schokolade, sondern eine kreative und ungewöhnliche Sorte, die aber trotzdem besonders vielen von Euch schmecken würde.“ Die, die schließlich entstand, ist nicht nur echt lecker, sie ist auch einzigartig. Und sie erzählt ihre Geschichte auf der Verpackung. Eine durchdachte und gelungene Aktion.

Im B2B: Schienenfahrzeughersteller Bombardier

Dass Crowdsourcing auch im Firmenkundengeschäft (B2B) funktioniert, hat unter anderem der Schienenfahrzeughersteller Bombardier bewiesen. 2010 hat er einen öffentlichen Wettbewerb ausgerufen, bei dem es um die Innenraumgestaltung von Zügen ging. In den Kategorien Urlaubsreisen, Geschäftsreisen und Nahverkehr konnten über eine spezielle Webseite handgezeichnete Entwürfe eingereicht werden.

Zudem konnten mithilfe eines 3D-Konfigurationstools Sitzoberflächen gestaltet werden. Insgesamt haben über 2.100 Teilnehmer mehr als 4.200 Ideen beigetragen. Die Community-Mitglieder selbst wie auch Design- und Verkehrsexperten bewerteten die Vorschläge anhand eines Fünf-Sterne-Systems. Die besten Designs wurden auf der InnoTrans in Berlin vorgestellt.

Weitere Beispiele zum Thema finden Sie übrigens in meinem Buch Touchpoints.

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